Türchen 23 – Die Gabe der Weisen
Diese Erzählung handelt von einem jungen Ehepaar mit wenig Geld, die es sich nicht nehmen lassen, sich zu Weihnachten zu beschenken. Doch für welchen Preis – das lesen Sie hier.
Advent Weihnachten Liebe und PartnerschaftEin Dollar und 87 Cent. Das war alles. Und 60 Cent davon waren in Pennys. Pennys, die sie Cent für Cent dem Lebensmittelhändler, dem Gemüsehändler und dem Metzger abgerungen hatte, bis ihre Wangen glühten vor Schamesröte über den Verdacht der Knausrigkeit, den ein solch hartes Feilschen nun mal mit sich brachte. Dreimal zählte Della sie durch. Ein Dollar und 87 Cent. Und morgen war Weihnachten. Da war einfach nichts weiter zu tun, als sich auf die abgewetzte Couch fallen zu lassen und zu heulen. Und das tat Della dann auch. Was uns zu der philosophischen Betrachtung führt, dass das Leben aus Schluchzen, Schniefen und Lächeln besteht, wobei das Schniefen überwiegt.
Während die Hausherrin allmählich vom ersten in das zweite Stadium wechselt, wollen wir einmal einen Blick auf ihr Heim werfen. Eine möblierte Wohnung für acht Dollar die Woche. Sie war nicht gerade ärmlich, aber doch nahe daran. Unten im Hausflur hing ein Briefkasten, in den niemals ein Brief den Weg fand, und ein Klingelknopf, dem kein sterblicher Finger je ein Klingeln entlocken konnte. Und dazu gehörte auch ein Namensschild mit dem Namen »Mr. James Dillingham Young«.
Das »Dillingham« war in den Namen geraten während einer vergangenen Periode des Wohlstands, als sein Besitzer noch dreißig Dollar die Woche verdiente. Jetzt aber, da das Einkommen auf zwanzig Dollar geschrumpft war, dachten sie ernstlich daran, es zu einem bescheidenen und unauffälligen »D.« abzukürzen. Doch immer, wenn Mr. James Dillingham Young nach Hause kam und seine Wohnung betrat, wurde er »Jim« genannt und heiß umarmt von Mrs James Dillingham Young, die uns schon als Della bekannt ist. So weit, so gut.
Della hörte auf zu weinen und puderte sich die Wangen. Sie stellte sich ans Fenster und blickte trübe hinaus auf eine graue Katze, die über einen grauen Zaun in dem grauen Hinterhof pirschte. Morgen war Weihnachten, und sie hatte nur einen Dollar 87, mit dem sie für Jim ein Geschenk kaufen konnte. Seit Monaten hatte sie wirklich jeden Penny gespart, und das war das Ergebnis. Mit zwanzig Dollar die Woche kam man nicht weit. Die Ausgaben waren höher gewesen, als sie veranschlagt hatte. Das ist immer so. Gerade mal ein Dollar 87 für ein Geschenk für Jim. Ihren Jim. Viele glückliche Stunden hatte sie damit verbracht, sich etwas Hübsches für ihn auszudenken. Etwas ganz Feines, Seltenes und Gediegenes – etwas, dem es zu Ehre gereichen würde, von Jim besessen zu werden.
Zwischen den Fenstern hing ein Wandspiegel. Vielleicht haben Sie schon einmal einen Wandspiegel in einer Acht-Dollar-Wohnung gesehen. Eine sehr schlanke und bewegliche Person kann es schaffen, durch das Betrachten einer schnellen Abfolge von länglichen Streifen einen recht genauen Eindruck von ihrem Aussehen zu erhalten. Und die schlanke Della hatte es zur Meisterschaft in dieser Kunst gebracht. Plötzlich wirbelte sie vom Fenster weg und stellte sich vor den Spiegel. Ihre Augen glänzten, aber ihr Gesicht verlor innerhalb von zwanzig Sekunden seine Farbe. Schnell löste sie ihr Haar und ließ es zu seiner vollen Länge herabfallen.
Es gab zwei Besitztümer der James Dillingham Youngs, in den beide großen Stolz setzten. Das waren Jims goldene Uhr, die vor ihm seinem Vater und seinem Großvater gehört hatte, und Dellas Haar. Wenn die Königin von Saba in der Wohnung gegenüber gewohnt hätte, dann würde Della ihr Haar zum Trocknen aus dem Fenster gehängt haben, nur um die Juwelen und Gaben Ihrer Majestät verblassen zu lassen. Und wäre König Salomon hier Hausmeister gewesen inmitten seiner aufgestapelten Schätze im Erdgeschoss, würde Jim jedes Mal, wenn er an ihm vorüberging, seine Uhr herausgezogen haben, nur um zu sehen, wie er sich aus Neid seinen Bart ausrupfte.
Nun fiel Dellas schönes Haar wellend und leuchtend wie eine Kaskade goldbraunen Wassers an ihr herunter. Es reichte ihr fast bis über die Knie und war beinahe ein Gewand für sie. Nervös und hastig steckte sie es wieder hoch. Eine Minute lang zögerte sie und stand regungslos da, während ein oder zwei Tränen auf den abgetretenen roten Teppich tropften. Sie zog sich ihre alte braune Jacke an, setzte sich ihren alten braunen Hut auf und mit wehendem Kleid und einem glänzenden Funkeln in den Augen flatterte sie aus der Tür und die Treppen hinunter hinaus auf die Straße. Dort hielt sie vor einem Schild an, auf dem stand: »Mme Sofronie. An- und Verkauf von Haaren aller Art:«
Della flog eine Treppe hinauf und sammelte sich keuchend. Madame, groß, zu weiß geschminkt und kühlt, sah kaum aus wie »Sofronie«.
»Kaufen Sie mein Haar?«, fragte Della.
»Ich kaufe Haar«, sagte Madame. »Nehmen Sie den Hut ab und lassen Sie mal sehen, was Sie haben.«
Die braune Kaskade floss herab.
»Zwanzig Dollar«, sagte Madame, während sie die Masse in der Hand wog.
»Geben Sie sie mir schnell«, sagte Della.
Und die nächsten zwei Stunden vergingen auf rosa Schwingen. Vergessen wir die abgegriffene Metapher. Sie durchstöberte die Geschäfte nach einem Geschenk für Jim. Schließlich fand sie es. Es war ganz bestimmt nur für Jim gemacht und für niemanden sonst. Es gab nichts Vergleichbares in den anderen Geschäften, und die hatte sie alle auf den Kopf gestellt. Es war eine Uhrkette aus Platin, einfach und geschmackvoll, die ihren Wert durch ihre Substanz und nicht durch protzige Verzierungen offenbarte – so wie alle guten Dinge es tun sollten. Es war sogar der Uhr würdig. Sobald sie sie sah, wusste sie, dass sie Jim gehören musste. Sie war wie er. Schlichtheit und Größe – diese Beschreibung traf auf beide zu. Einundzwanzig Dollar wollten sie dafür haben, und mit 87 Cent eilte sie nach Hause zurück. Mit dieser Kette an der Uhr würde Jim in jedweder Gesellschaft immer nach der Zeit sehen wollen. Die Uhr war großartig, aber manchmal blickte er nur heimlich darauf wegen des alten Lederbands, das er an Stelle einer Kette benutzte.
Als Della wieder zu Hause war, machte ihr Rausch langsam wieder der Klugheit und der Vernunft Platz. Sie holte die Brennschere heraus, entzündete das Gas und machte sich ans Werk, die Verwüstungen zu beseitigen, die ihre Großzügigkeit in Verbindung mit Liebe angerichtet hatten. Was immer eine enorme Arbeit ist, liebe Freunde – eine Riesenarbeit. In vierzig Minuten wurde ihr Kopf bedeckt von niedlichen, enganliegenden Locken, die sie wunderbar aussehen ließen wie einen bummelnden Schuljungen, Lange, sorgfältig und kritisch betrachtete sie ihr Spiegelbild. »Wenn Jim mich nicht umbringt«, sagte sie zu sich, »bevor er einen zweiten Blick auf mich wirft, wird er sagen, dass ich aussehe wie ein Chormädchen auf Coney Island. Aber was hätte ich tun können – oh! was hätte ich mit einem Dollar 87 anfangen können?«
Um sieben war der Kaffee fertig und die Bratpfanne hinten auf dem Herd heiß und bereit, die Koteletts aufzunehmen. Jim kam nie zu spät. Della legte die Uhrenkette in der Hand zusammen und saß auf der Tischdecke nahe der Tür, durch die er immer hereinkam. Dann hörte sie seine Schritte auf der Treppe unten im ersten Stock, und für einen Moment erbleichte sie. Sie hatte die Angewohnheit, zu den einfachsten alltäglichen Dingen ein kleines stilles Gebet zu sprechen, und nun flüsterte sie: »Lieber Gott, bitte hilf, dass er mich immer noch schön findet.« Die Tür ging auf und Jim trat ein und schloss sie hinter sich. Er sah schmal aus und sehr ernst. Armer Kerl, er war erst zweiundzwanzig – und schon mit einer Familie belastet! Er brauchte einen neuen Mantel, und er hatte keine Handschuhe.
Jim war an der Tür stehengeblieben, unbeweglich wie ein Vorstehhund, der eine Wachtel wittert. Seine Augen waren auf Della gerichtet, und in ihnen war ein Ausdruck, den sie nicht deuten konnte und der ihr Angst einflößte. Es war weder Ärger, noch Überraschung und auch nicht Schrecken oder irgendeines jener Gefühle, mit denen sie gerechnet hatte. Er starrte sie einfach nur an mit diesem eigenartigen Ausdruck im Gesicht.
Della glitt von der Tischkante und ging zu ihm.
»Jim, Liebling«, rief sie, »sieh mich nicht so an. Ich habe meine Haare abgeschnitten und verkauft, weil ich es nicht ertragen konnte, Weihnachten ohne ein Geschenk für dich zu sein. Sie werden wieder wachsen – es stört dich doch nicht, oder? Ich musste es einfach tun. Mein Haar wächst furchtbar schnell. Sag ›Frohe Weihnachten‹ Jim und lass uns fröhlich sein. Du weißt gar nicht was für ein nettes – was für ein schönes, hübsches Geschenk ich für dich habe.«
»Du hast deine Haare abschneiden lassen?« fragte Jim mühsam, als ob er diese offensichtliche Tatsache trotz größter geistiger Anstrengung noch nicht erfasst hätte. »Abgeschnitten und verkauft«, sagte Della. »Hast du mich jetzt nicht mehr so lieb? Ich bin doch immer noch ich, auch ohne meine Haare, oder?« Jim sah sich neugierig im Zimmer um.
»Du sagst, dein Haar ist weg?«, sagte er mit einem schon beinahe idiotischen Ausdruck. »Du brauchst nicht danach zu suchen«, sagte Della. »Es ist verkauft, sag ich dir – verkauft und weg. Wir haben Heilig Abend, Menschenskind. Sei nett zu mir, ich hab’s für dich getan. Vielleicht waren die Haare auf meinem Kopf gezählt«, fuhr sie unvermittelter ernster Verliebtheit fort, »aber niemand könnte jemals meine Liebe für dich zählen. Soll ich die Koteletts aufsetzen, Jim?«
Schnell erwachte Jim aus seiner Benommenheit. Er umarmte Della. Lassen Sie uns kurz diskret beiseite blicken auf einen ganz anderen Gegenstand. Acht Dollar die Woche oder eine Million im Jahr – wo ist der Unterschied? Ein Mathematiker oder irgendein Witzbold würde uns darauf ganz sicher die falsche Antwort geben. Die Weisen brachten wertvolle Geschenke, aber dieses war nicht darunter. Diese dunkle Feststellung werden wir später erhellen.
Jim zog ein Päckchen aus der Manteltasche und warf es auf den Tisch. »Versteh mich bloß nicht falsch, Dell«, sagte er. »Ich glaube nicht, dass irgendein Haareschneiden, Legen oder Waschen mich je dazu bringen könnte, mein Mädchen auch nur um ein Jota weniger zu mögen. Aber wenn du dieses Päckchen aufmachst, dann wirst du verstehen, warum ich mich erst mal wieder einkriegen musste.«
Weiße flinke Finger zerrten an der Schnur und dem Papier. Und dann ein entzückter Freudenschrei und danach – leider! – ein blitzartiger weiblicher Wechsel zu hysterischem Weinen und Klagen, die die sofortige Aufbietung aller tröstenden Kräfte des Hausherrn nötig machten. Denn vor ihr lagen die Kämme – ein Satz von Kämmen, die Della schon so lange in einem Schaufenster am Broadway bewundert hatte.
Wunderschöne Kämme, echtes Schildpatt, mitsteinbesetzten Rändern – gerade von der richtigen Farbe, um sie in dem verschwundenen Haar zu tragen. Es waren teure Kämme, das wusste sie, und sie hatte sich nach ihnen gesehnt, ohne darauf zu hoffen, sie jemals zu besitzen. Und nun gehörten sie ihr, aber die Locken, die diesen begehrten Schmuck geschmückt haben sollten, waren weg. Sie drückte ihn fest an ihre Brust und schließlich war sie in der Lage, zu ihm mit verschwommenen Augen und einem Lächeln aufzublicken, und sie sagte: »Meine Haare wachsen schnell, Jim!«
Aber dann machte sie einen Satz wie eine angesengte kleine Katze und rief: »Oh, oh!« Jim hatte noch gar nicht ihr schönes Geschenk gesehen. Eifrig hielt sie es ihm in der offenen Hand hin. Das stumpfe wertvolle Metall schien aufzublitzen im Widerschein ihrer heiteren, leidenschaftlichen Stimmung. »Ist sie nicht toll, Jim? Ich bin durch die ganze Stadt gerannt, um sie zu finden. Du wirst jetzt am Tag hundert Mal auf die Uhr sehen. Gib mir die Uhr. Ich möchte sehen, wie sie sich daran macht.«
Anstatt zu gehorchen, ließ Jim sich auf die Couch fallen, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und lächelte. »Dell«, sagte er, »lass uns die Weihnachtsgeschenke für eine Weile beiseitelegen. Sie sind zu schön, um sie gleich jetzt zu benutzen. Ich habe die Uhr verkauft, um Geld für die Kämme zu haben. Und jetzt wäre es nett, wenn du die Koteletts aufsetzen könntest.«
Die Weisen des Morgenlandes waren kluge Männer – wunderbar kluge Männer – die Geschenke für das Kind in der Krippe brachten. Sie haben die Kunst, Weihnachtsgeschenke zu machen, erfunden. Klug wie sie waren, waren auch ihre Geschenke zweifellos klug und beinhalteten nach Möglichkeit das Recht, sie umzutauschen, falls man zweimal dasselbe bekam. Und hier habe ich den schwachen Versuch gemacht, Ihnen die ereignislose Geschichte zweier einfältiger Erdenkinder in einer Mietwohnung zu erzählen, die höchst unklug füreinander die größten Schätze in ihrem Besitz opferten. Aber als ein letztes Wort an die Weisen dieser Tage lassen Sie mich sagen, dass von allen, die Geschenke machten, diese beiden doch die Klügsten waren. Von allen die Geschenke machen und empfangen, sind solche wie sie die klügsten.
Allenthalben sind sie die klügsten.
Sie sind die wahren Weisen.
(O. Henry)