Türchen 24 – Weihnachtsgeschichte »Der kleine Löwe«
Mit dieser wundervollen Geschichte, die von einem kleinen Löwen in der Heiligen Nacht handelt, verabschieden wir uns in die Weihnachtszeit und wünschen besinnliche Festtage!
Advent WeihnachtenEs war einmal ein kleiner Löwe, der lebte in einer Höhle am Ende der Welt. Eines Nachts erwachte der kleine Löwe von einem wunderbaren Gesang. Er sprang auf. Vor der Höhle saß der alte Löwe.
»Was machst du mitten in der Nacht vor der Höhle?«, fragte der kleine Löwe.
»Ich warte!«, antwortete der alte Löwe.
»Worauf wartest du?«, fragte der kleine Löwe.
Der alte Löwe zeigte in die dunkle Nacht.
Der kleine Löwe sah den Stern. Sein helles Licht durchbrach alle Finsternis. Da wusste er, dass etwas Großes geschehen war.
»Nun ist der König geboren, der Erlöser der Welt. Er ist mächtig und stark!«, sagte der alte Löwe.
»Mächtiger als du?«, flüsterte der kleine Löwe.
Da nickte der große, alte Löwe. »Mächtiger als ich!« Dann schwieg er in Gedanken.
»Und wo ist er jetzt?«, fragte der kleine Löwe.
»In Bethlehem!«, antwortete der alte Löwe.
»Ich will ihn sehn!«, sagte der kleine Löwe.
»Dann mach dich auf den Weg!«
Wieder zeigte der alte Löwe zum Himmel. »Folg dem Stern, wohin er dich auch führt!«
Da machte sich der kleine Löwe auf den Weg nach Bethlehem, den König zu suchen. Er wanderte über Berge und Hügel, durch Dörfer und Städte, durch Steppen und Wälder und folgte dem Stern. Er kletterte auf hohe Bäume, damit er ihm näher kam. Er überquerte einen breiten Fluss. Er erklomm die steilsten Felsvorsprünge. Er fror. Er hungerte. Aber er folgte ihm.
Er wusste nicht, wie lange er so gewandert war. Ohne dass es der kleine Löwe bemerkte, geschah mit ihm eine seltsame Veränderung. Er wuchs, während er dem Stern nachging und an den mächtigsten König, den Erlöser der Welt, dachte. Je mehr er ging, umso kräftiger wurde sein Schritt. Seine Krallen waren so stark wie nie zuvor, und seine Stimme klang weit über die Steppe. Er wanderte Tag und Nacht. Und er war stolz darauf, dass er den Stern erkannt hatte, denn der Stern führte ihn zu der Stadt Bethlehem.
Dort sah er sich nach allen Seiten um. Wo war sein Palast, der Palast des neugeborenen Königs? Über einem armseligen Stall blieb der Stern stehen. Sein Licht glitt durch die Öffnung auf ein kleines Kind, das in einer Krippe lag.
»Das kann der König nicht sein, ein Kind ohne Krone, ohne Land!«, seufzte der kleine Löwe.
Enttäuscht wandte er sich ab, und mit einem Mal spürte der kleine Löwe, wie müde er war, und eine große Traurigkeit erfüllte sein Herz. Nachdem er weiter gewandert war, bemerkte er, dass er den Stern aus den Augen verloren hatte. Wie er auch suchte, er fand ihn nicht.
Drei Tage und Nächte irrte der kleine Löwe umher. In der dritten Nacht beschloss er, umzukehren. Wieder überquerte er den Fluss. Müde kletterte er auf einen Berg. Da erschien ihm in der Dunkelheit der Stern, und wieder leuchtete er über jenem armseligen Stall heller als zuvor.
Plötzlich spürte der kleine Löwe, dass mit ihm eine seltsame Verwandlung geschehen war. Sein Schritt war kräftig, seine Krallen stark und sein Kopf mächtig. Er war kein kleiner Löwe mehr. Voller Freude rannte er den Berg hinunter zum Stall. Wie groß war sein Erstaunen, als er näher trat. Menschen und Tiere machten ihm Platz.
Wieder vernahm er den Gesang. Verwundert lauschte der Löwe. Vor dem kleinen Kind in der Krippe neigte er seinen Kopf: »Du bist der König, mächtig und stark!«, rief er. Und seine Stimme klang weit durch das ganze Land.
Das Kind aber lächelte.
(Antonie Schneider)