100. Geburtstag von Khalil Gibrans »Der Prophet«
Ein Klassiker der Literatur feiert Geburtstag. Eine kleine Hommage an das wohl bekannteste Werk dieses Dichters, das universell und zeitlos zu sein scheint.
Aktuelles Geburtstag InspirationEs geschah im Jahr 1923, dass der New Yorker Verlag Knopf Khalil Gibrans Buch »Der Prophet« veröffentlichte. 25 Jahre lang hatte der libanesisch-US-amerikanische Autor an dem Werk gearbeitet.
Sein Hauptanliegen war es, die Erstarrung der arabischen Literatur zu lösen und einen Dialog mit der westlichen Welt anzustoßen. Dies ist ihm zweifellos gelungen, denn »Der Prophet« wurde in mehr als 40 Sprachen übersetzt. Seit dem Erscheinen des Buches haben unzählige Menschen auf der ganzen Welt aus seinen Worten Inspiration und Orientierung gewonnen.
»Der Prophet« und seine Rahmenhandlung
Der Prophet Al-Mustapha möchte nach 12 Jahren die Stadt Orphalese verlassen und mit einem Schiff auf seine Heimatinsel im Osten zurücksegeln. Obwohl er sich nach seiner Heimat sehnt, fühlt er doch auch Schmerz bei der Aussicht, Orphalese zu verlassen. Als die Stadtbewohner die Ankunft des Schiffes bemerken, strömen sie zum Hafen, um sich von Al-Mustapha zu verabschieden.
Doch nicht nur das, die Seherin al-Mitra bittet den Propheten, er möge ihr und den anderen Menschen in Orphalese seine Erkenntnisse über das Leben mitteilen, als Abschiedsgeschenk. Al-Mustapha erklärt sich einverstanden, und die Stadtbewohner treten nun vor und dürfen sich wünschen, wovon der Prophet sprechen soll.
Den Anfang macht al-Mitra mit der Bitte »Sprich uns von der Liebe«. Es folgen eine Mutter (Sprich uns von den Kindern), ein reicher Mann (… vom Geben), ein Gastwirt (… vom Essen und Trinken), ein Weber (… von der Kleidung), ein Richter (… von Schuld und Sühne) und viele andere, bis zuletzt die Seherin al-Mitra darum bittet: »Sprich uns vom Tod«.
Schließlich besteigt Al-Mustapha das Schiff und verabschiedet sich von den Orphalesern in einer längeren, tröstenden Rede. Er versichert den Zurückbleibenden seine Liebe und Verbundenheit und kündigt seine Rückkehr an, auch wenn er sterben sollte. Dann lichten die Seeleute den Anker und das Schiff fährt »gen Osten«.
Eine Art Evangelium
Die Sprache des Propheten ist voller Bilder und Vergleiche, sie ähnelt den Reden Jesu in den Evangelien. Nicht nur Redewendungen wie »Wahrhaftig, ich sage euch«, sondern auch rhetorische Fragen und ein Gebet, das dem Vaterunser ähnelt, kommen in den Texten des Propheten vor.
Zwar gibt es auch Parallelen zu Nietzsches »Also sprach Zarathustra« (in dem ein Weiser nach Jahren als Eremit zu den Menschen spricht), doch während bei Nietzsche Gott für tot erklärt wird, steht er bei Gibran im Zentrum des Lebens und aller Überlegungen.
Erfolg in Wellen
Gleich nach Veröffentlichung hatte das Buch so großen Erfolg, dass Khalil Gibran sogar eine Einladung von Franklin Roosevelt erhielt. Dann war es einige Zeit eher still um das Werk, ehe es in den 1960er-Jahren im Zuge der New-Age-Bewegung zum weltweiten Bestseller wurde. Obwohl Gibrans Werk teils als esoterisch eingestuft wurde, gilt der Autor als einer der meistverkauften Poeten. Und »Der Prophet« erfreut sich mit Übersetzungen in mittlerweile mehr als 40 Sprachen und immer neuen Ausgaben ungebrochener Aufmerksamkeit und Beliebtheit.
Und auch, wer das Buch nie gelesen hat, kennt zumindest einzelne Sätze daraus. Sie werden bei allen möglichen Anlässen gerne zitiert, wie etwa das berühmteste Zitat »Eure Kinder sind nicht eure Kinder«, das bis heute bei vielen Taufen den Eltern mit auf den Weg gegeben wird.
Das Bedürfnis nach klaren und doch poetischen Worten zu allen grundsätzlichen Fragen unseres Daseins scheint universell und zeitlos zu sein.
»Der Prophet« begleitet so mit seinen Gedanken und Ratschlägen seit nunmehr 100 Jahren Menschen auf der ganzen Welt und wird es wohl weiterhin tun.