An diesen Frauen kommt man nicht vorbei

Jede Frau hat ihre Farben: helle, dunkle, matte, leuchtende, geheimnisvolle. Eine bunte Palette, die sie einzigartig und unverwechselbar macht. Die türkische Künstlerin Hülya Özdemir spürt dem auf ihre ganz eigene Weise nach.

Inspiration Glück Achtsamkeit

Hülya Özdemirs Frauen sehen uns an, sie beanspruchen Raum, sie sind unübersehbar.

Wo Frauen sich aus einem tradierten Rollenverständnis heraus oft immer noch klein machen, zeichnet sie sie so groß und bunt wie möglich. Ihre Nachbarinnen, Verwandten und Freundinnen stehen ihr dabei genauso Modell wie große Ikonen aus Film, Mode oder Musik. Denn sie findet: Alle Frauen haben all das in sich. Um ihren Platz in der Welt zu behaupten, stattet sie sie mit einer gigantischen Haarpracht aus. Hier sitzt ihre ganze Kraft.

Und ihr Geheimnis. An diesen Frauen kommt man nicht vorbei. Im Gegenteil, sie ziehen einen magisch an. Sie sind einfach etwas ganz Besonderes. So wie auch jede Frau auf ihre Art etwas ganz Besonderes ist.


Kraut und Rüben oder Bad-Hair-Day

An manchen Tagen ist mir einfach alles zu viel. In meinem Kopf herrschen Kraut und Rüben. Gemüseanarchie. Heute ist mal wieder so ein Tag. Aufgaben, selbst erstellte To-do- und Bucket-Listen, Erwartungen, die andere an mich stellen, berufliche und private Termine, Ansprüche, die ich selbst an mich habe – sie wachsen mir förmlich über den Kopf. Ich schaue in den Spiegel und betrachte, mit einer Bürste bewaffnet, den Wildwuchs auf meinem Haupt. Kein englischer Rasen räkelt sich dort, fein säuberlich in ordentlichen Halmen. Nein, es wuchern Wildblumen, und Unkraut quillt um die Ohren, nimmt überall Überhand, kringelt sich den Nacken hinunter, hängt mir ins Gesicht. Ich puste mir eine Sorgenkrautsträhne aus der Stirn. Nicht zu bändigen – heute ist also Mütze tragen angesagt. Auch in meinem Kopf herrscht Chaos.

Meine Gedanken sind aufgewühlt und zerstreut, wie vormals ordentlich zusammengekehrte Herbstblätter, kreiselnd und tanzend im Wind. An solch einem Tag läuft sicherlich der Kaffeefilter über, ist die Zahncreme aufgebraucht oder schimmelt das Toastbrot. Ich steige in mein Auto und erinnere mich, dass ich gestern noch hätte tanken sollen. Jetzt fällt auf, dass ich die Pausenbrotdosen verwechselt habe – das wird dem Vegetarier nicht schmecken – genauso wenig wie das Leberwurstbrot, welches er nun statt Semmel mit Käse und Salat vorfinden wird. Dass ich heute mein Shirt auf links trage, bemerkt meine Kollegin vor mir. Jetzt erblühen tiefrote Ranunkeln auf meinen Wangen.

Da hilft nur Durchatmen und ein Stoßgebet. Gott bringt Ordnung in mein Chaos. Er nimmt mir die Mütze ab und beäugt das Durcheinander, pflückt ein Vergissmeinnicht, zähmt die Löwenzähnchen. Lichtet den Urwald meiner Ungelegenheiten, befreiend und erleichternd wie ein neuer Haarschnitt. Er weiß, wo der Schnitt anzusetzen ist, bringt den Wildwuchs in Form. Lacht mit mir und über meine Pläne und Sorgen. Ich werde es ihm gleichtun.
(Alexandra Quiram)


Dieser Text ist in unserem Kundenmagazin Herbst 2024 erschienen.

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