Andreas Dohmen über die Berufswahl der Zukunft

Was bedeutet die Digitalisierung für die Berufswahl unserer Kinder und Enkel? Autor Andreas Dohmen erklärt, worauf es bei der »richtigen« Wahl für einen zukunftsfähigen Beruf ankommt.

Gesellschaft Ratgeber

Den Talenten folgen

Nun werde ich öfters von jungen Leuten (oder auch deren Eltern) danach gefragt, welchen Beruf man für diese digitalen Zeiten erlernen bzw. was man studieren sollte. Meine Antwort darauf ist meistens zweigeteilt: Ers­tens glaube ich aufgrund eigener Lebenserfahrung und Beobachtungen in meiner Umgebung daran, dass man »dahin« gehen sollte, wofür man das größte Talent, das meiste Interesse und somit die stärkste Energie hat. Und dies zunächst unabhängig von aktuellen Berufsaussichten! Denn was nützt einem ein Studium in einem dieser Zukunftsfächer wie Informatik, Datenwissenschaften etc., wenn man einfach nicht die »An­tenne« dafür hat? Meistens geht das schief; die Studienabbrecherquote in Deutschland liegt immer noch bei ca. 30 Prozent, in den mathematisch ausgerichteten Ausbildungen sogar bei fast 40 Prozent! Also gilt es erst einmal herauszufinden, wo die eigenen Talente – die offensichtlichen wie die verborgenen – liegen. Dafür gibt es viele gute Bücher, Tests, und auch die Eltern können hier eine entscheidende Rolle spielen. Aber eben nicht nach dem Motto »Ich bin Jurist, also wäre es ganz gut, wenn auch du das wirst«, sondern mal in das Kind reinhorchen, wo denn »die Ener­gie« sitzt.

Sind die Talente klar, gilt es, die beiden anderen Faktoren ins Spiel zu bringen, die ich bei so vielen erfolgreichen Menschen gesehen habe: Disziplin und Begeisterung. Und mit »erfolgreich« meine ich nicht in erster Linie materielle Dinge oder große Karrieren. Nichts falsch damit, aber viele von uns haben bereits gesehen und erlebt, dass »Glück« im »Innern« entsteht und nicht unbedingt im »Außen«. Im Sport lässt sich gut beobachten, wie die zwei zuletzt genannten Faktoren oft den Unter­schied machen: Nicht die mit dem größten Talent sind am Ende »vorn«, sondern die, die dieses Triple am besten hinbekommen. Und mit diesem Wissen schaue ich zum Beispiel bei Interviews auch immer auf Stellen im Lebenslauf, wo sich diese Dinge erkennen lassen, und frage genau nach.

Denken lernen

Der zweite Aspekt, den ich den Fragestellern immer gern mitgebe, hat mit der Schnelllebigkeit der Digitalisierung zu tun: Da sich nun mal viele Berufe verändern und immer neue Aufgaben an die Mitarbeiter her­angetragen werden, ist es aus meiner Sicht außerordentlich hilfreich, wenn jemand in seiner Ausbildung »zu denken« gelernt hat. Sei es, abstrahieren zu können wie Mathematiker oder auch Philosophen, und/ oder – ebenso wichtig – in komplexen Zusammenhängen denken zu können. Ich hatte einmal einen exzellenten Mitarbeiter bei Cisco, den ich irgendwann mal fragte, ob er Mathematik, Physik oder Elektrotechnik studiert habe. Alles falsch, er war ausgebildeter Historiker. Die denken bekanntlich in Zusammenhängen, und das konnte er in der Tat hervorra­gend. Die Welt der IT hatte er sich selbst durch Weiterbildungen er­schlossen. Ideal wäre also wohl eine Kombination wie »Philosophie und Informatik«. Alles, was »quer« angesiedelt ist, erscheint ebenfalls zu­kunftsträchtig: Wirtschaftsingenieurwesen, Wirtschaftsinformatik, Bio­informatik etc. Denn die Welten wachsen zusammen, und an den Schnitt­stellen liegt gerade in einer digitalisierten Welt die Herausforderung, aber auch der Fortschritt.

Was nun: Ausbildung oder Studium?

Es muss aus meiner Sicht nicht immer ein Studium an einer großen Uni sein. So bin ich zum Beispiel ein großer Freund einer dualen Ausbil­dung für die, die lieber von Anfang an die praktische Anwendung sehen wollen. Denn viele junge Menschen verlassen ja mit 17 und Abitur die Schule, sind mit 21 mit dem ersten Studium fertig – und dann? Bis 70 werden sie wohl eh alle arbeiten müssen bei der heutigen Lebenserwar­tung und dem immer mehr unter Druck geratenden Rentensystem. Also warum nicht zuerst eine Lehre – und wer weiß, vielleicht anschließend kein klassisches Studium, sondern praxisnahe Weiterbildungen und be­rufsbegleitende Studien, zum Beispiel an den sehr guten Berufsakade­mien?

Handwerk und social Skills im Fokus

Viele Handwerksberufe sind seit Langem von der Digitalisierung be­einflusst und haben sich dementsprechend verändert. So heißt der Auto­mechaniker jetzt Mechatroniker und aus dem Elektriker wurde der, der smarte Lösungen für smarte Häuser entwickelt. Und in heutigen Zeiten hat Handwerk sowieso »goldenen Boden«, da die demographische Ent­wicklung anhält und der Drang zu Abitur und Studium ungebrochen ist. Hinzu kommt, dass viele handwerkliche Jobs ebenso wie viele »helfende« Tätigkeiten auf Jahrzehnte hinaus nicht so einfach durch eine KI bzw. einen Roboter ersetzt werden können wie manche akademischen Berufe. Viel zu komplex sind die Tätigkeiten, wenn sie uns im Verhältnis zum Programmieren auch noch so »einfach« erscheinen. Denken Sie immer daran: Alles, was sich durch einen Algorithmus abbilden lässt – und das sind eine ganze Reihe von Verwaltungs- und mittleren akademischen Jobs –, wird durch die KI gewaltig unter Druck kommen. Weitaus früher und massiver, so glaube ich, als der Dachdecker, der bei Ihnen und mir auf dem Haus die Ziegel austauscht!

Ein Blick in das so oft zitierte »Silicon Valley« bringt beim Thema Bildung Überraschendes hervor: Viele Manager berühmter Internetfir­men schicken ihre Kinder in jungen Jahren auf Montessori- und Wal­dorfschulen und erst später auf »klassische« Schulen, wo dann auch die Technik mehr im Vordergrund steht. Ja, Sie haben richtig gelesen. Wa­rum dieser unerwartete Schritt? Bei näherer Betrachtung erkennt man, dass nicht nur die »Nerds« diese sagenhafte Innovationsmaschine ange­trieben haben, sondern oft Menschen mit ganz viel Mut, Kreativität, Fle­xibilität und Selbstvertrauen, was gerade beim eventuellen Scheitern der Umsetzung manch großer Idee so wichtig ist. Es sind diese »social skills«, die mitentscheidend sind für dieses – für uns in Europa manch­mal schwer zu verstehende, weil so übermäßige – Urvertrauen, das »man es hinbekommen kann«, wenn man nur daran glaubt! Und dann wird sich schon einer finden, der die Idee programmieren kann. Oft sind es Teams wie Wozniak und Jobs, die Firmen wie Apple gründen. Steve Woz­niak war der technische Genius und Steve Jobs das Marketing-Genie. Spätestens mit der Erfindung von iPad und iPhone bewies er, wie loh­nenswert es ist, vom Kunden her zu denken und nicht vom Produzenten her.

Fazit
Die digitale Transformation wird die Arbeitswelt massiv verän­dern, nicht über Nacht, aber fundamental. Die Menschen werden (aus anderen Gründen) bis 70+ arbeiten müssen und in ihrem Leben mindes­tens drei verschiedene Berufe erlernen und ausüben. Also gilt es dafür rechtzeitig eine solide Grundlage zu legen, die einen durchträgt und gleichzeitig noch sehr nah an den eigenen Talenten liegt. Einfach? Nein, aber dann wäre es ja auch nicht so spannend!

Jetzt heißt es eine zukunftsfähige Entscheidung zu treffen

Die digitale Transformation wird die Arbeitswelt massiv verän­dern, nicht über Nacht, aber fundamental. Die Menschen werden (aus anderen Gründen) bis 70+ arbeiten müssen und in ihrem Leben mindes­tens drei verschiedene Berufe erlernen und ausüben. Also gilt es dafür rechtzeitig eine solide Grundlage zu legen, die einen durchträgt und gleichzeitig noch sehr nah an den eigenen Talenten liegt. Einfach? Nein, aber dann wäre es ja auch nicht so spannend!


Dieser Text ist ein Auszug aus Andreas Dohmens Buch  »Wie digital wollen wir Leben. Die wichtigste Entscheidung für unsere Zukunft«.Andreas Dohmen vermittelt – ohne Vorwissen vorauszusetzen – in diesem Buch die vielen komplexen Aspekte, Grundlagen, Hintergründe und Zusammenhänge der gegenwärtigen digitalen Entwicklung. Ihm geht es darum, über das nötige Wissen zu verfügen, um letztendlich selbst zu entscheiden, wie digital wir leben wollen.
Neben dem Thema Berufswahl der Zukunft erwarten Sie im Buch weitere spannende Themen, u.a. Digitale Transformation, Smart Home, Darknet, Big Data, Siri, Industrie 4.0, Kryptowährungen, Virtual Reality, Smart City, digitale Transformation des Gesundheitswesens, Augmented Reality, Hacker, Cloud-Computing, Blockchain, Autonomes Fahren u.v.m. Hierbei werden Fragen wie »Was ist das?«, »Wie funktioniert es?«, »Was muss ich wissen?« oder »Wie kann ich mich schützen?« von Andreas Dohmen beantwortet.

Über den Autor

© Andrea Seifert

Andreas Dohmen

Andreas Dohmen arbeitet seit 2013 als selbständiger Unternehmensberater, Coach und Dozent. Nach dem Studium von Kernphysik, Informatik (Künstliche Intelligenz) und Betriebswirtschaftslehre war er 25 Jahre als Manager bei großen IT-Unternehmen tätig (u. a. als Geschäftsführer von Cisco Systems GmbH, Deutschland). Seit einigen Jahren hält er Vorträge und Vorlesungen zum Thema Digitalisierung in der Wirtschaft sowie in der Erwachsenenbildung und absolviert aktuell ein Master-Studium im Fachbereich Ethik an der Hochschule für Philosophie in München.