Michael H. F. Brock auf der Suche nach Antworten zur Krise des Glaubens

Seit mehr als 30 Jahren besucht Michael H. F. Brock die Lebensorte Jesu. Welche Erkenntnisse er für sich und andere durch seine Reisen gewonnen hat, erzählt er im Interview

Interview Gesellschaft Glaube

Michael H. F. Brock ist Vorstand der Stiftung Liebenau, einem der größten Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsunternehmen in Süddeutschland. Seit über 30 Jahren bereist er immer wieder das Heilige Land, um dem Menschen Jesus näher zu kommen. In seinem neuen Werk »Über Wasser gehen« beschreibt er diese Spurensuche, und wie er besonders mit Hilfe der Archäologie zu erstaunlichen Erkenntnissen gelangte, etwa, dass Jesus nie in der Synagoge einen Gottesdient besucht hat oder dass Josef kein Zimmermann gewesen sein kann. Doch viel wichtiger sind seine Einsichten, worum es Jesus eigentlich ging: nicht um Glauben und Wahrheiten, sondern um Vertrauen und Hinwendung zum Mitmenschen. Wir haben ihm zu seinem Forschungsansatz sowie zu seinen Israel-Reisen und dem, was für ihn darauf folgt, befragt.

Wir versuchen die Haltungsfragen aus dem Leben Jesu herauszufiltern

Lebe gut:  Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich Jesus auf diese Weise zu nähern?

Michael Brock: In meinem Vorwort steht dazu schon einiges. Aber vielleicht noch so viel: Der Versuch, sich dem historischen Jesus zu nähern, ist in der Vergangenheit immer an der Methodik gescheitert. Auch mir gelingt ein vollständiges Bild natürlich nicht. Aber was ich habe, sind gesicherte (archäologisch) Fakten. Wir können uns die Welten aufgrund der Archäologie besser vorstellen. Wie sahen die Städte aus? Wie sah der Alltag der Menschen aus? Ihre Arbeit? Welche Einflüsse haben die verschiedenen Strömungen? Einfluss von Handel und Politik? Wie sah das »Judentum« aus? Auch die Geopolitik lässt sich gut beschreiben. Auf dieser »Bühne« hat sich ein Mensch bewegt, ist gereift, hat Positionen eingenommen, hat gelebt (biblischer Befund).
Aber warum tue ich das? Ich tue es, weil es »Gottes Entscheidung war, Mensch zu werden« – Es ging um Menschwerdung, nicht um Kirchengründung oder Glauben. Das haben wir verlernt, so meine Erkenntnis meiner ersten 20 Jahre Tätigkeit als Pfarrer. Jetzt arbeite ich in einer Stiftung mit ca. 8.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Als Arbeitgeber kann ich nicht mit Glaubensfragen an meine Mitarbeiter herantreten. Also versuchen wir die Haltungsfragen aus dem Leben Jesu herauszufiltern: Aus christlich wird menschlich, aus kirchlich wird verbindlich und aus Glaube wird Vertrauen. Immer abgeleitet aus Jesu Handeln. Dieser Prozess hat bei mir 30 Jahre gedauert und hat etwa 30 Fahrten nach Israel gebraucht. Erst als Pilger, jetzt als Forscher und Übersetzer. Schließlich ist der von mir beschriebene Weg dabei herausgekommen.

Es gilt ein Himmel ohne Gericht wiederzuentdecken

Lebe gut:  Wie dürfen wir uns Ihre Reisegruppe vorstellen? Wie viele Teilnehmer hatte die im Buch geschilderte Reise, wie wurden sie ausgewählt und wie lange waren Sie unterwegs?

Michael Brock: Es waren ca. 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Dieses Mal aus dem Berufsbildungswerk Adolph Aich in Ravensburg. Jedes Mal (seit 7Jahren) ist es eine andere Gruppe aus den Gesellschaften der Stiftung Liebenau. Die Reisen dauern 11 Tage und werden in Fachtagen vor- und nachbereitet.


Lebe gut: Hatten Sie die im Buch beschriebenen Erkenntnisse schon vorher, vielleicht als Ahnung, oder kamen sie dort vor Ort ganz neu zu Ihnen?

Michael Brock: Die Erkenntnisse sind mir nicht zugeflogen (lächelt) - Ich brauchte viele Fachleute, zum Beispiel in hebräischer Sprache, Archäologen, und viele mehr, um überhaupt die richtigen Fragen stellen zu können. Die wichtigste Frage ist: Was hat dieser Mensch Jesus Neues gebracht und neu gelebt? Antwort: Der offene Himmel und die Zugehörigkeit aller Menschen zum Himmel. Ein Himmel ohne Gericht. Das ist neu. Das gab es vor Jesus nicht. Das gilt es wieder zu entdecken.

Jesus ging es um Lebenswirklichkeiten und das Heil-Werden des Menschen

Lebe gut: Haben die im Buch beschriebenen Erkenntnisse Ihre Art von Jesus zu sprechen nachhaltig verändert?

Michael Brock: Selbstredend. (lächelt)


Lebe gut: Wie reagieren die Menschen, wenn Sie ihnen von Ihren Erkenntnissen berichten? Gibt es auch abwehrende Reaktionen, wenn Sie scheinbar gesicherte Wahrheiten über Jesus als falsch entlarven, gar erwähnen, dass Jesus wohl den Dionysus-Kult kannte?

Michael Brock: Ich löse meist Erstaunen aus. Da ich aber meine Interpretation aus der Archäologie oder Kultur belegen kann, scheint sie den Menschen glaubwürdig und die Reaktion ist eher so: warum hat man uns das bislang vorbehalten? Und meine Antwort: Weil die Kirche die Frage nach dem Menschen schon lange nicht mehr interessiert. Der Kirche geht es immer um den Glauben an Christus und um Wahrheiten. Aber eben darum ging es Jesus nie. Ihm ging es um Lebenswirklichkeiten und das Heil-Werden des Menschen. Und es geht mir um exaktes Lesen. Wir lesen immer mit der »Glaubensbrille« oder unserer Sichtweise von heute. Wir müssen verstehen, dass es zurzeit Jesu bestimmte Dinge einfach noch nicht gab. Zum Beispiel das Judentum – das entwickelt sich parallel zur Kirche erst im 3. und 4. Jahrhundert. Synagogen als »Tempelersatz« konnte sich erst nach dem Fall des Tempels 70 nach Christus entwickeln – und Zimmermänner braucht man nur da, wo es Bäume gibt und Dächer aus Holz. Beides gab es nicht, außer ein paar wunderschönen Zedern des Libanons. Nur als Beispiel (lächelt). Und dass er dem Dionysus-Kult nahestand, das steht schon in der Bibel. Wir können es nur nicht lesen, weil wir uns nicht die Mühe machen, es einzuordnen: »Fresser und Säufer« – steht nun mal in der Bibel. Ist aber eine Bezeichnung für die Anhänger des Dionysus. Und die Hörer dieses Wortes haben sicher an Dionysos gedacht. Geht auch historisch als »Jude«. Der Orient denkt da ganzheitlicher.


© Stiftung Liebenau

Michael H. F. Brock

Michael H. F. Brock, geb. 1961, ist Vorstand der Stiftung Liebenau, einem der größten Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsunternehmen in Süddeutschland. Er ist bekannt durch zahlreiche Veröffentlichungen.

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