Das Netzwerk der Kirchen zeigt sich im Internet
Vom 13. bis 16. Mai trafen sich Christinnen und Christen in Deutschland digital: zum Ökumenischen Kirchentag in Zeiten von Corona. Ein Rückblick auf den 3. Ökumenischen Kirchentag
Aktuelles Reportage Glaube Gesellschaft»Schaut hin« hieß das Motto des 3. Ökumenischen Kirchentags in Frankfurt am Main. Aufgrund der Corona-bedingten Pandemiesituation fand der Kirchentag vor allem im virtuellen Raum in digitalen Foren statt. In den Blick gerieten die drängendsten Fragen der Gegenwart – vom Klimawandel bis zur Frage des Umgangs kirchlicher Einrichtungen mit dem Sterbewillen unheilbar Kranker.
Die aktuellen Herausforderungen der Kirchen in Deutschland
»Schaut hin« bedeutete aber auch das Ringen der Christinnen und Christen um einen ehrlichen Blick auf ihre eigenen Kirchen. Seit über ein Jahrzehnt befassen sich die kirchlichen Institutionen in Deutschland damit, sich dem eigenen Umgang mit Betroffenen von sexuellem Missbrauch durch Kirchenvertreter zu stellen. Die Nichtveröffentlichung eines ersten Gutachtens durch den Kölner Erzbischof und die Auflösung des Betroffenenbeirats durch die EKD waren Ereignisse im Vorfeld des Kirchentags, die die bleibende Aktualität des Themas sexualisierter Gewalt in den Kirchen vor Augen führten. Diese schwerwiegende Aufgabe, so fasst es ganz passend Klaus Mertes in seinem Buch zusammen, kann auf einen Satz reduziert werden: »Den Kreislauf des Scheiterns durchbrechen«.
Frauen in Deutschland fordern weiterhin mehr Mitspracherecht
»Schaut hin« – Für die Teilnehmenden des Kirchentags war das auch der Blick auf die Situation von Frauen in der römisch-katholischen Kirche. Es ist die vielleicht drängendste Frage des »Synodalen Weges«, den die katholischen Bischöfe und Laienvertreter:innen seit 2019 beschreiten: Initiativen wie »Maria 2.0«, aber auch die katholischen Frauenverbände kfd (Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands) und KDFB (Katholischer Deutscher Frauenbund) fordern Gleichberechtigung von Frauen in der römisch-katholischen Kirche, das heißt Zugang zu allen Diensten und Ämtern und Teilhabe an den Entscheidungsprozessen.
Der Limburger Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und Ortsbischof in Frankfurt am Main, dämpfte auf dem Kirchentag die Hoffnung auf Reformen: Für eine Zulassung von Frauen zum Priesteramt in der katholischen Kirche gebe es vorerst und in naher Zukunft keine Chance, seit Papst Johannes Paul II. hätten sich alle Päpste dagegen ausgesprochen und die Frage für »beantwortet« erklärt. Hier habe die deutsche Kirche keinen eigenen Spielraum. Die Stimmungslage vieler Christinnen und Christen in Deutschland in der Frage der Geschlechtergerechtigkeit steht allerdings dagegen. In »Es reicht jetzt!« und »Frauen machen Kirche« verschaffen sich viele Autorinnen Luft und fordern mehr Mitspracherecht sowie Zugang zu institutionalisierten Ämtern in der Kirche.
Segensgottesdienst für alle unter dem Motto #liebegewinnt
Im Vorfeld des Ökumenischen Kirchentags war diese »Ungleichzeitigkeit« zwischen den Katholik:innen in Deutschland und der römischen Zentrale erneut deutlich geworden. Die römische Glaubenskongregation erteilte den Bestrebungen, auch mancher deutscher Bischöfe, für Lebenspartnerschaften schwuler und lesbischer Katholik:innen eine liturgische Feier der Segnung zu ermöglichen, eine harsche Absage. Daraufhin wurden in vielen deutschen Gemeinden im Mai Gottesdienste unter dem Leitwort »Segen für alle« und #liebegewinnt angeboten.
Klimawandel und Umwelt spielten auch beim Kirchentag eine wichtige Rolle
Noch im September 2020 hatte Bischof Bätzing die Bedeutung der »Frauenfrage« in der katholischen Kirche mit der Bedeutung des Themas Klimawandel für die Gesellschaft verglichen: »Wenn man Zeiten verpasst, um bestimmte Entscheidungen zu treffen, hat das zum Teil verheerende Auswirkungen.«
Das Thema des Klimawandels und seiner bedrohlichen Auswirkungen bestimmte die digitalen Kirchentagsauftritte der Kanzlerin Angela Merkel ebenso wie der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Luisa Neubauer, Vertreterin der Fridays for future-Bewegung, forderte im Gespräch mit der Kanzlerin ein »Ende der leeren Worte«. Die Kanzlerin würdigte die Bedeutung des zivilgesellschaftlichen Engagements der Klimaschutz-Bewegung und sprach von der Notwendigkeit, dass es »Treiber« gebe, die der Politik keine Ruhe lassen, und dass Fridays for Future »eine ganz wichtige Aufgabe« für die Gesellschaft wahrnehme.
»Wir sind viele und teilen, was wir haben«
Überschattet wurde die Kirchentagswoche von antisemitischen Ausschreitungen in Deutschland vor dem Hintergrund des neu aufgeflammten Nahost-Konflikts. Eines der digitalen Foren war somit diesem Thema gewidmet. »Das eine Allheilmittel gegen Antisemitismus gibt es nicht«, sagte Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Umso mehr gilt es, in den verschiedensten Bereichen genau hinzuschauen.
»Schaut hin«: »Wir sind viele und teilen, was wir haben«, mutig und ein bisschen trotzig klangen diese Worte im Open-Air-Schlussgottesdienst in der Weseler Werft in Frankfurt am Main. In der Zeit der Corona-Beschränkungen, die auch die Kirchen und ihre Angebote trafen, wurde die Frage nach der »Systemrelevanz« der Kirchen aufgeworfen. Immer wieder haben Kirchen- und Katholikentage gesellschaftliche Fragestellungen in den Blick genommen und ins Schaufenster der Debatten gestellt. Die weltweit vernetzten Kirchen mit ihrer Erfahrung als global player bringen hartnäckig die Fragen globaler Gerechtigkeit in binnendeutsche Diskussionen ein. Das war auch beim 3. Ökumenischen Kirchentag der Fall. Deutlich wurde aber auch: Die Bereitschaft der Gesellschaft, hinzuschauen auf die blinden Flecke ihres Zusammenlebens, wird auf Dauer von der Transparenz abhängen, die die Kirchen im Blick auf ihre eigenen blinden Flecke und offenen Fragen praktizieren.
Für das kommende Jahr 2022 luden der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, und Thomas Sternberg vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken zum Katholikentag »in ökumenischer Geschwisterlichkeit« nach Stuttgart ein. Das Motto: »Leben teilen«. Es knüpft an die berühmte »Mantelteilung« durch den heiligen Martin von Tours an, den Patron der Diözese Rottenburg-Stuttgart.