Eine Weihnachtsgeschichte
Mit dieser wundervollen Geschichte über einen ganz besonderen Heiligen Abend wünschen wir Ihnen besinnliche Festtage!
Advent Weihnachten Familie NächstenliebeWeihnachten zu Haus
Viele Jahre feierten Markus und Bea Weihnachten mit den Nachbarn: der kleinen Hannah und ihren Eltern. Höhepunkt jedes Abends war ihr Lieblingslied, das sie gemeinsam sangen. Als Bea starb, zog Markus sich ganz zurück. Hannah, mittlerweile groß geworden, fährt an Weihnachten nach Hause. Da erklingt das Lied im Autoradio.
Hannah lebte mit ihren fünfundzwanzig Jahren längst ein unabhängiges Leben in der Stadt. Doch das Weihnachtsfest verbrachte sie immer noch am liebsten »zu Hause« bei ihren Eltern.
So kam es, dass sie sich wieder einmal mit ihrem kleinen knallroten Auto auf die Reise machte. Ihr Besuch sollte eine Überraschung für die Eltern sein. Hannah hatte erst im letzten Augenblick ihren Dienst tauschen können und hatte so zwei unerwartete freie Tage. Unterwegs dachte sie voller Freude und Wehmut an die Weihnachtsfeiern in ihrer Kindheit. Sie dachte an ihre Eltern. Und an die Nachbarn, Markus und Bea. Die feierten damals nämlich immer mit und gehörten zu Weihnachten wie der Lichterbaum und die Weihnachtslieder. Sie hatten selbst keine Kinder und keine Verwandten in der Nähe. Und vor allem, sie verstanden sich gut mit Hannahs Familie. Sie wohnten alle fünf im selben Doppelhaus am Rand der kleinen Stadt, gleich neben dem Wäldchen. Der linke Eingang, da wohnten Markus und Bea. Und rechts, da war Hannahs Familie zu Hause.
Es war eine lange Fahrt. Hannah hatte das Autoradio angestellt und hörte Musik. Ab und zu wurde ein Weihnachtslied gespielt, das passte gut zu ihrer Stimmung. Plötzlich erklang ein Lied, das eigentlich kein Weihnachtslied war. Aber es war schön und vielleicht ein wenig melancholisch und erzählte von Zuhause. Hannah trat auf die Bremse. Sie musste anhalten und das Lied in Ruhe anhören. Dieses Lied! Sie hatte es seit vielen Jahren nicht mehr gehört und fast vergessen. Es war das Lieblingslied der Nachbarn gewesen. Jedes Jahr zu Weihnachten hatten sie es alle gemeinsam aus voller Kehle gesungen. Markus hatte stets seine Gitarre dabei und begleitete sie beim Singen. Hannah fiel alles wieder ein: die tolle Nachbarschaft, gemeinsame Feiern und ausgelassene Gartenfeste.
Es war eine wunderbare Zeit – bis, ja, bis Bea krank wurde und fast ein Jahr lang still litt. Hannah spürte den Schmerz von damals wieder. Sie war vierzehn Jahre alt, als Bea starb.
Danach hatte sich Markus völlig zurückgezogen. »Die Erinnerung tut so weh!« war eines seiner letzten Worte zu den Nachbarn. Hannah atmete tief durch, dann fuhr sie wieder los. Sie dachte jetzt an Weihnachten »zu Hause«. Sie freute sich, wieder Kind sein zu dürfen. Wenigstens für ein paar Stunden.
Endlich war sie am Ziel angelangt. Sie klingelte an der rechten Tür. Dort war alles dunkel. Niemand öffnete. Sie wartete einen Moment, dann blickte sie unsicher auf die Uhr. Es war kurz nach fünf. »Na klar! Sie sind im Gottesdienst. Sicher kommen sie bald zurück.«Es war nicht nur dunkel, sondern auch bitterkalt. Hannah blickte hinüber zum Nachbareingang. Sie dachte an Markus. Früher hatte er bei sich immer einen Ersatzschlüssel für den Notfall aufbewahrt. Ob er den noch hatte? Sie lief durch den Schnee hinüber zur linken Tür, zögerte kurz, dann nahm sie all ihren Mut zusammen und klingelte. Es dauerte eine lange Minute.
Schließlich öffnete Markus die Tür. Sein Haar war grau geworden. Erstaunt sah er sie an.
»Hannah, du hier? Was ist los?«
»Frohe Weihnachten, Markus!«, sagte sie strahlend und verstand es geschickt, ihre Unsicherheit zu verbergen.
»Ich komme gerade, meine Eltern besuchen. Aber es ist niemand da. Sie sind wohl noch im Gottesdienst.«
Markus biss sich auf die Lippen. Dann sagte er leise: »Jetzt komm doch erst mal rein. Draußen ist es ja viel zu kalt. Dann wartest du eben hier.«
Eine halbe Stunde später waren Hannahs Eltern wieder zurück. Sofort erkannten sie den kleinen roten Wagen ihrer Tochter. »Wo ist sie denn?« fragte die Mutter. Die beiden blickten sich suchend um. Da entdeckten sie Fußspuren im Schnee, die zum anderen Eingang führten. Sie sahen sich fragend an. Dann gingen sie hinüber und klingelten.
Markus öffnete, hinter ihm stand Hannah. »Sie hat sich aufgewärmt. Jetzt wollt ihr sie abholen. Dann feiert mal schön!« Die Eltern schlossen ihre Tochter in den Arm. Dann riefen alle drei wie aus einem Mund: »Willst du nicht nachher zu uns kommen?«
Markus hatte die Tür schon halb geschlossen. Jetzt öffnete er sie noch einmal ganz. »Meint ihr?«
Sie wiederholten die Einladung. »Wie wäre es um sieben Uhr? Es gibt wieder Würstchen mit selbstgemachtem Kartoffelsalat. So wie immer.« Er schluckte mehrmals, dann nickte er kurz.
Hannah saß kurz danach gemütlich mit ihren Eltern im Wohnzimmer. Der Tannenbaum war so ähnlich geschmückt wie früher. Die Strohsterne waren bestimmt noch dieselben.
»Gleich wird er kommen«, sagte die Mutter. »Wie ich mich freue! Nach so langer Zeit.«Doch die Zeit verging, es wurde sieben, viertel nach sieben, halb acht. Niemand klingelte an der Tür. Hatte er es sich doch anders überlegt? Endlich um viertel vor acht hörten sie den erlösenden Klingelton. Der Vater öffnete.
»Schön, dass du da bist. Komm doch herein.«
Markus hatte seine Gitarre im Arm. »Die musste ich erst einmal suchen. Ich habe all die Jahre nicht mehr darauf gespielt. Ich dachte …« »Was dachtest du?«, fragte Hannah von hinten.
»Ich dachte, vielleicht können wir unser Lied von damals zusammen singen.«
Der Vater wischte sich unbeholfen eine Träne mit dem Handrücken ab. »Euer Lied und unser Lied! Ich freue mich.«
Und Hannahs Mutter sagte: »So, ihr Lieben. Und jetzt beginnt Weihnachten!«