»Ewigkeit hat die zeitliche Funktion der Gleichzeitigkeit«
Ulrich Peters gratulierte ganz persönlich Prof. Karl-Josef Kuschel am 6. März 2023 zu seinem 75. Geburtstag. Das Grußwort, welches er ihm zu Ehren beim Festakt in Tübingen sprach, finden Sie hier.
Aktuelles Gesellschaft GlaubeLieber Herr Prof. Kuschel, liebe Familie und Freunde des Geburtstagskindes, lieber Herr Riethmüller, liebe Professores Rahner und Langenhorst, lieber Herr Drobinski, liebe Leserinnen und Leser,
»Ewigkeit hat die zeitliche Funktion der Gleichzeitigkeit«. Keine Sorge, ich habe mich nicht vergriffen, hoffe ich jedenfalls. Ich lese den Satz auf Seite 91 des ungewöhnlich inspirierenden Gesprächsbandes »Ich lerne durch Begegnung«, der im Dialog mit Matthias Drobinski entstand, und den wir hier heute zusammen mit dem ebenso interessanten Buch »Im Dialog mit der Dichtung« aus der Feder Ihres Schülers und Kollegen Georg Langenhorst vorstellen und der Öffentlichkeit überreichen dürfen. »Ewigkeit hat die zeitliche Funktion der Gleichzeitigkeit«. Sie entlockten diesen Satz Jürgen Moltmann im Rahmen eines Gesprächs, das Sie 2014 mit ihm für eine Extra-Ausgabe von Publik Forum über die höchstpersönliche Frage führten: Erwartet mich als Mensch etwas nach dem Tod? Und wenn ja, was?
Anlässlich eines Grußworts zum 75. Geburtstags ein Zitat voranzustellen, das diese Fragen berührt und von Ewigkeit spricht, könnte ja – um das Mindeste zu sagen – zu Missverständnissen verleiten. Mit der spannungsreichen Perspektive von Endlichkeit und Ewigkeit ist es ja so eine Sache, vor allem am Geburtstag. Aber diese Spannung handelt eben auch von dem, was bleibt und Bestand hat. Insofern passt der Hinweis schon einmal hierher – und allein über die Zwischenbilanz dessen zu sprechen, was von Ihrem Leben und Ihrer Arbeit bleibt, ist schon ein abendfühlendes Programm. Aber das überlasse ich gerne den Laudatoren dieses Abends und freue mich, wie ich annehme, mit Ihnen allen, auf deren Beiträge. Mir aber geht es bei dem vorangestellten Zitat aber nicht nur um das Bleibende, das, was Bestand hat, sondern ebenso sehr um die »Gleichzeitigkeit«.
»Gleichzeitigkeit« ist – jedenfalls in meiner Anschauung – ein besonderes Momentum, dem insbesondere bei der Feier von Geburtstagen (zumal runden oder halbrunden) eine wesentliche Bedeutung zukommt. Die Ströme der Zeit und des eigenen Lebens, die mitunter getrennt mäandern, vereinen sich. Was gestern war, die Geschichte eines langen und ereignisreichen 75-jährigen Weges wird auf geheimnisvolle und nur schwer zu erklärende Weise eins und Gegenwart.
Unabhängig davon, wie Quantenphysiker uns das Phänomen dieser besonderen Momente erklären könnten, fließt in dieser Stunde irgendwie alles zusammen: die Kindheits- und Jugendjahre in Oberhausen, Studien an der noch jungen Ruhruniversität Bochum und nur wenig später im traditionsreichen und »leuchtenden« Tübingen, der Stadt der Dichter und Denker, Forschungsaufenthalte in Jerusalem, der muslimischen Welt, den beiden Amerikas und Asien, Ihre Eltern und Geschwister, die eigene Familie, die Sie mit Ihrer Frau begründeten, ihre Kinder, Freunde (lebende und auch die bereits verstorbenen), Ihre geistigen Wahlverwandten und legendären Lehrer, ihr eigenes vielschichtiges Werk und ungeheuer produktives und kreatives Schaffen… sie alle und das alles ist jetzt im Moment hier, gleichzeitig hier – zusammen mit uns natürlich, die Sie uns freundlicherweise zur Feier Ihres Geburtstags eingeladen haben.
Meine Güte, mit Ihrem Leben und Werk öffnet sich die Tür in einen ganzen Kosmos, in den ich gerne eintrete, und mit großem Respekt den Reichtum beschreibe, der Ihrem Leben und Werk innewohnt, Ressourcen, die wir heute dringender denn je brauchen. Ihr Werk ist wie Sauerstoff und frische Energie in einer Zeit, die geistig und geistlich zu ermüden droht. Und dies insbesondere, weil es niemals blutleere Theorie blieb, sondern eine außerordentlich relevante Theologie voll pulsierenden Lebens ist - entstanden aus der Bereitschaft zu lebenslangem Lernen und im interessierten Dialog und Gespräch mit der Welt, in der wir leben – und die sie, wie wenige andere, in den Stimmen der Literatur zu lesen verstehen. Wenn wir nur mehr von diesem geistigen Proviant hätten, wie wir ihn Ihnen verdanken. Es stünde anders um unsere Welt und unsere Kirche.
Die beiden Bücher, die wir Ihnen heute zu Ihrem Geburtstag übereichen, drücken das in ihren Titelformulierungen, Statements gleich, so aus: »Im Dialog mit der Dichtung« und »Ich lerne durch Begegnung«. Auch ich lerne durch Begegnung. Als Ihr Verleger und damit gewissermaßen einer der ersten Leser danke ich Ihnen persönlich, aber auch im Namen ungezählter tausender und abertausender Leserinnen und Leser aus vollem und aufrichtigem Herzen für die vielen Begegnungen, die Sie uns mit Ihrem Werk ermöglichen und durch die wir lernen, leben lernen. Möge uns Ihre Stimme und Ihr Schaffen noch lange erhalten bleiben. Ad multos annos.
Ganz herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, verehrter und lieber Herr Prof. Kuschel.