Warum Hoffnung und Mut auch in modernen Märchen nicht fehlen dürfen

Lebe gut im Gespräch mit der Autorin Dagmara Dzierzan über das Märchenschreiben und die Herzens-Sprache ihrer Figuren. Ein Interview

Interview Weihnachten Aktuelles

»Wer Ohren hat, der höre. Wer Augen hat, der sehe. Und wer ein Herz hat, der handle.«

Blasilius ist Stadtwächter der kleinen Grafschaft Minimonomongau. Er nimmt seine Aufgabe sehr ernst. Nicht jeder darf hinein in seine Stadt. Schon gar nicht, wer ohne Papiere kommt. Doch in einer klirrend kalten Schneenacht, mitten im Advent, stehen plötzlich zwei winzige Gestalten vor dem Tor und bitten um Einlass. So beginnt das Märchen der gebürtigen Polin Dagmara Dzierzan, die selbst als junges Mädchen mit ihrer Familie nach Deutschland geflohen ist.

Lebe gut im Gespräch mit der Autorin Dagmara Dzierzan über das Märchenschreiben und die Herzens-Sprache ihrer Figuren.

Lebe gut: Als Redakteurin beim Bayerischen Rundfunk haben Sie auch immer wieder mit Märchen zu tun. Nun haben Sie selbst eines geschrieben. Wie kam es dazu?

Dagmara Dzierzan: Angeregt von den wunderbaren Märchenerzählerinnen, die ich im Zuge meiner Rundfunkarbeit kennenlernen durfte, begann ich selbst, eine Ausbildung als Märchenerzählerin zu machen und wurde gebeten, auf einer Weihnachtsfeier ein Märchen zu erzählen. Ich sagte gerne zu, merkte aber schnell, dass ich es selber schreiben möchte.

Lebe gut: Als Kind haben sie die eigene Flucht erlebt. Wie viel Ihrer ganz persönlichen Erfahrungen stecken in diesem Märchen? Gibt es Parallelen?

Dagmara Dzierzan: Ganz unbewusst webe ich wohl immer eigene Erfahrungen in meine Texte hinein, sogar in die beruflichen, scheint mir. Ich habe keine Flüchtlingsgeschichte geplant, als ich begann, ein Weihnachtsmärchen zu schreiben. Die Flüchtlingskinder Jan und Janina kamen ganz von alleine zu mir. Auch Blasilius hatte auf einmal einen Flüchtlingshintergrund, was mir als stimmig erschien, weil so eine viel intensivere Verständigung und Verbindung zwischen den dreien entsteht.

Lebe gut: Sprache, Identität, Kultur sind wichtige Themen für Sie. Fühlen und schreiben Sie eher als Deutsche oder als Polin? Gibt es auch polnische Elemente in Ihrem Märchen?

Dagmara Dzierzan: Wenn ich ganz ehrlich bin, so empfinde ich schon die Klassifizierung »Deutsche« oder »Polin« als nicht ganz stimmig. In meiner Familie gab es Deutsche und Polen, ich bin beides und vieles mehr, inzwischen mindestens auch bayerisch, Münchnerisch. Die intensivste Zeit des Lebens, die Kindheit, verbrachte ich aber in der polnischen Umgebung – sie ist wie eine Matrix, die den Klang meiner Herzens-Sprache prägt. So war es ganz natürlich, dass die Kinder Polnisch sprechen, dass sie Blasilius von Weihnachtsbräuchen erzählen, die polnische Anklänge tragen, da gibt es im Märchen einige Bezüge.

Lebe gut: In einer Zeit, in der immer mehr Menschen ihre Heimat verlassen müssen, ist Ihr Weihnachtsmärchen aktueller denn je. Welche Botschaft möchten Sie Menschen mit auf den Weg geben?

Dagmara Dzierzan: Meine Botschaft ist dieselbe, wie die Botschaft der alten, einst mündlich überlieferten Volksmärchen in allen Kulturen der Welt: Sie zeigen uns noch heute, dass es einen Weg gibt, wenn wir ihn in Bedrängnis, in Dunkelheit zu suchen, zu gehen beginnen. Ich möchte meine Geschichte nicht mit den uralten Märchen vergleichen, doch ich möchte gerne Hoffnung und Mut fördern. Ich habe mich manchmal in meinem Leben vor verschlossenen Türen gefühlt, dann aber gemerkt, dass sie meist aufgingen, wenn ich meine Tür öffnete, das heißt: meine Angst überwand. Es wäre schön, wenn mein Märchen ein wenig dazu beiträgt, wenn es Freude schenkt.

Lebe gut: Noch eine persönliche Frage: Wie feiern Sie Weihnachten?

Dagmara Dzierzan: Auch für mich ist Weihnachten in der Familie am schönsten, im engeren Kreis am Heiligen Abend, mit eher polnischen Bräuchen. An den folgenden Feiertagen erweitert sich der Kreis durch Verwandte und Freunde, durch unterschiedliche Bräuche und Vorlieben. Das Zusammensein mit Menschen, die ich manchmal lange vermisst habe, genieße ich an Weihnachten sehr.


© Privat

Dagmara Dzierzan

Dagmara Dzierzan ist im polnischen Riesengebirge geboren und flüchtete als Kind mit ihrer Familie nach Deutschland. Sie arbeitet als Moderatorin beim Bayerischen Rundfunk.

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