Karoline Roscher-Lagzoulis Weg in den Salafismus – und wieder hinaus
Unsere Autorin Karoline Roscher-Lagzouli hat Islamwissenschaften studiert. In ihrem Buch spricht sie über ihren Weg zum Salafismus, den Konflikten mit und ihrer Emanzipierung von der Glaubensgemeinschaft
Glaube Toleranz GesellschaftWie kommt eine junge Frau aus einem atheistischen Elternhaus nahe Leipzig zum Salafismus? Das kann doch keine freie Entscheidung sein, da muss doch ein »Prinz aus dem Orient« dahinterstecken, oder? Weit gefehlt! Caroline Roscher-Lagzouli erzählt, wie sie in ihren Zwanzigern nach einer lebenslangen Faszination zum Islam konvertierte. Mehrere Jahre lang war sie Teil einer konservativen Salafi-Gemeinde, wo sie die besondere Geborgenheit in einer solchen Gemeinschaft genoss.
Lesen Sie hier einen Auszug aus »Die Frau jenseits der Schleier« von Caroline Roscher-Lagzouli:
»Wir sind Schwestern, eine eingeschworene Gemeinschaft. Gemeinsamer Glaube und das Festhalten an der selbst gewählten Geschwisterlichkeit überwinden Unterschiede und verbinden Welten. Aus den verschiedensten Teilen Deutschlands, aus verschiedenen Ländern, mit den Wurzeln in der ganzen Welt, mit den verschiedenartigsten Hintergründen begegnen wir uns in unserer kleinen Gemeinschaft.
Dieser Zusammenhalt in der Gruppe und Loyalität zu Freundinnen, mit denen ich mich in Liebe verbunden fühle, eine Idee von Frauensolidarität sind wohl zum Teil die Gründe, warum ausgerechnet ich, die ich Autoritäten immer infrage gestellt habe, die nie zu einer Gruppe gehören wollte, die individuell, besonders sein wollte, nun ausgerechnet Teil einer islamischen Salafi-Gruppierung werde. Eine Gruppierung, in der individuelles Denken abgewöhnt wird, in der Frauen ihr Glück in der Unterwerfung unter ein von Männern in klaren Schwarz-Weiß-Kontrasten gemaltes Bild finden, in dem sie sich regelrecht auflösen und ihre Individualität zusammen mit ihren Namen und ihrem alten Leben mit Freude und Hingabe an das Höhere aufgeben.
Ich war eine Suchende, am Beginn meines Erwachsenenlebens stehend, etwas verloren in der Fremde und erkannte zunehmend auch die Entfremdung zu den Eltern, die bis dahin in einer vermeintlichen Unfehlbarkeit auf einem Podest standen. Ich fragte nach dem Sinn des Ganzen, stellte das Leben an sich infrage und folgte dann der Einladung, dem Versprechen, klare Antworten zu finden, Wärme und Zugehörigkeit, wenn ich denn nur zu ihnen gehören wollte. Und das wollte ich, brauchte ich.
Es war so einfach: Du musst nur die Codes lernen, die Regeln befolgen, dann gehörst du dazu und darfst mit ihnen gemeinsam eine Besondere, Gerettete sein im verwirrenden Chaos der weltlichen Möglichkeiten.«
Ihr marokkanischer Ehemann betrachtet die Wege seiner konvertierten Frau und das Treiben der »Brüder« eher spöttisch-distanziert. Doch auch für sie selbst werden mit der Zeit immer stärker die strengen Reglements, die Konflikte und Widersprüche spürbar und irritierend.
»Ich sehe, wie sich Frauen nach ihrem Konvertieren komplett auflösen in der Lebenswelt ihres Ehemannes, im bereitwillig angenommenen Regelwerk der Salafis. Alles, was du warst, was du kanntest und liebtest: verbannt, verdrängt, vergessen. Du existierst nur durch deinen Ehemann, wirst erst wirklich durch die Mutterrolle und nennst dich stolz Umm Soundso, nach dem Erstgeborenen. Manche ziehen sich das neue Leben, den Glauben, wie eine Maske an, denke ich zuweilen. Legen die Kopftücher wie einen stützenden Chitinpanzer um, verbergen so das Nichts in ihrem Inneren und lernen eine neue Sprache, weil sie vielleicht keine eigene besitzen. Ich sehe sie in ihrer Blase, in einer eigenen Welt, abgeschirmt vom Leben. Die Luft zum Atmen ist knapp bemessen. Halte dich also ruhig, hole nicht zu tief Atem und lasse deine Stimme nicht zu laut erklingen, meine Schwester.
Frauen als »Sprechautomaten«
Die Welt, aus der wir kommen, lernen wir zu hassen, jede Regung des Herzens, alte Lieben und Sehnsüchte abzuwägen und zu bemessen: erlaubt, verboten, zweifelhaft. Schlechtes Gewissen, wenn du deine Frauenstimme hören lässt, wenn du aus Gewohnheit vielleicht den Nachbarn grüßt oder dich allein mit dem fremden Mann im Aufzug wiederfindest.
Eine der Schwestern, die ihr Gesicht doch ohnehin hinter dem Schleier verbirgt, springt hinter die Tür, um den Gast des Mannes bei der zufälligen Begegnung im Wohnungsflur nicht mit ihrem Frausein zu konfrontieren. Nicht sehen und vor allem nicht gesehen werden. Frauen werden zu Sprechautomaten mit der immer gleichen Ansage: »Mein Mann hat gesagt ...«, Mein Mann will nicht ...«, Mein Mann erlaubt nicht ...«.
Mein Mann Hassan sagt: »Ich bin einfach Muslim und nehme den Schatten des Baumes.« Er erdet mich immer wieder und zeigt mir Wege der Mitte, wo ich nur den steinigen, den Weg nah am Abgrund sehen kann.«
Und sie erzählt, wie sie heute, nach der Geburt ihrer beiden Kinder und ihrer Abkehr vom Salafismus noch immer auf der Suche nach einem für sie passenden Ausdruck ihres Glaubens ist – mit Kopftuch und Selbstbewusstsein.
Karolines Weg aus dem Salafismus
»Ich möchte mich emanzipieren von der Bedeutung, die Männer dem Kopftuch gegeben haben, und lasse mir Freiheit nicht schulmeisterlich erklären. Ich fordere die Deutungshoheit über meine Kleidung und über mein Haar zurück. Ich bin mehr als mein Kopftuch.
Hat es für mich als neue Muslimin noch einfach zum Muslimin-Sein dazu gehört und hat mir geholfen dazuzugehören, ist es mir im Laufe der Jahre unverzichtbares Kleidungsstück, ein vertrauter, selbstverständlicher Teil meiner Identität geworden, aber eben nur ein Teil, nur eine Facette.
Mein Kopftuch ist mehr als ein Zeichen, mehr als ein Symbol, was beliebig an- und abgelegt werden kann. Es kleidet mich, schützt mich vor Hitze im Sommer und im Winter vor Kälte und manchmal vor mir selbst. Mein weiter Rock schwingt bei jedem meiner Schritte wie die Robe einer Königin, mein dünner, fließender Schal flattert im Wind.
Das Tuch ist auch Ausdruck meiner Spiritualität, ist Teil meines Glaubens, erinnert mich jeden Tag an die Verbindung zu meinem Gott. Ein Tuch, eine Frau – und tausend Bedeutungen.
Und so wie ich mich auf meinem Weg verändert habe, hat sich auch mein Kopftuch verändert: Habe ich es als Schwester der eingeschworenen Salafi-Gemeinschaft noch wie eine Uniform, wie eine Tarnkappe, die so wenig wie möglich von ihrer Trägerin preisgeben soll, getragen, ist das Tuch in den letzten Jahren mehr und mehr auch Ausdruck meiner Persönlichkeit geworden. Heute erlaube ich mir, mit den Farben und Stoffen zu spielen.