Kirche am »toten Punkt«
Wer sich in oder für die Kirche engagiert, braucht heutzutage gute Nerven. Mehr Negatives als Positives wird in der Gesellschaft mit der Kirche in Verbindung gebracht. Ein paar Gedanken vom Diplomtheologen und Kirchenkabarettist Stefan Herok
Zuversicht Hoffnung ErmutigungWarum ich bleibe...
Irgendwann bin ich durch unsere Stadt gelaufen, als hinter mir zwei Menschen über ein Thema gesprochen haben, bei dem ich aufhorchen musste: Sie sprachen vom Kirchenaustritt. Die eine sagte: »Ich bin ja schon ausgetreten, als damals meine Hochzeit anstand …« Als unfreiwilliger Zuhörer dachte ich unwillkürlich: bestimmt vorher geschieden oder homosexuell. Ihr Gesprächspartner antwortete ihr: »Ja, und für mich reicht’s jetzt, mein FrustFass läuft gerade über!«
Endlich Verantwortung übernehmen
Ich erinnere mich daran, wie der Münchner Kardinal Marx dem Papst seinen Rücktritt angeboten hat. Er sehe die Kirche »an einem toten Punkt«, und aus einem Gefühl von Mitverantwortung für den Schaden, den die Kirche angerichtet hat und immer noch anrichtet, wolle er als Vertreter der Institution dafür sichtbar Verantwortung übernehmen. Der Papst hat seinen Rücktritt dann abgelehnt. Marx gehört zu den Reformbefürwortern in der deutschen Kirche. Aber um den Gedanken solcher Verantwortungsübernahme ist es dann leider schnell wieder sehr still geworden. Bis der ebenfalls reformorientierte Bischof von Osnabrück, Franz-Josef Bode, Anfang 2023 seinen wohl auch gesundheitlich begründeten Rücktritt dezidiert mit einer Entschuldigungsbitte für persönliches Fehlverhalten in Missbrauchszusammenhängen verband: Er habe zu lange mehr den Schutz des kirchlichen Ansehens und der Täter im Blick gehabt als die Verantwortung gegenüber den Opfern. Das ist ehrenwert und wichtig. Gleichwohl beschleicht mich, wenn ich sehe, wer sich alles nicht entschuldigt und wer nicht zurücktritt, doch immer wieder das Gefühl, dass – wenn überhaupt – doch eher »die Falschen« bereit sind, Konsequenzen zu ziehen. Ich weiß, dieser Gedanke ist moralisch nicht ganz korrekt, aber ich stehe zu meinem Gefühl …
Kirchenpolitisch Zeichen setzen?
Auch mit einer guten, immer noch kirchlich gebundenen Freundin kommt das Gespräch in letzter Zeit schnell auf die Frage »gehen oder bleiben?« Müsste man, so sagt sie sichtlich bewegt, nicht wirklich mit seinem Austritt ein deutliches Zeichen setzen? »Achtung, Kirche, es reicht! Ich war lange engagiert und geduldig. Aber jetzt hast du alle Chancen verspielt, mich als Mitglied bei der Stange zu halten.« Keine Veränderung in den drängenden Fragen Missbrauchsaufarbeitung, Klerikalismus, Sexualmoral, Ämter für Frauen und Sakramente, zumindest aber Segensfeiern für gleichgeschlechtliche oder wiederverheiratete Paare.
Die deutschen Katholiken haben zwar versucht, mit dem »Synodalen Weg« diesen Themen wenigstens etwas positive Dynamik zu geben, aber die reaktionären Kräfte, die den Reformbedarf einfach nicht wahrhaben wollen, bleiben leider übermächtig. Es gibt zwar ein paar kleine Ergebnisse – z. B. beim Thema Segensfeiern für Paare und beim liberalisierten kirchlichen Arbeitsrecht –, insgesamt blieb das Projekt jedoch deutlich hinter den Erwartungen vieler Beteiligter zurück. Den Synodalen Weg trotzdem als richtigen Weg zu loben und als wichtige Etappe in eine bessere kirchliche Zukunft zu verstehen, dazu braucht es schon überirdische Hoffnungskräfte und eine belastbare Frustrationsresistenz. Dass mein Limburger Bischof, Georg Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, da immer noch zu einem weitgehend glaubwürdigen Optimismus fähig ist, ist für mich schon ein kleines Wunder. [...]
Stefan Herok, Auszug aus Kap. 1 »NervenSegen – Das Trostbüchlein für strapazierte katholische Seelen«