Mehr Begegnung wagen – Christina Hecke im Interview
Christina Hecke möchte die Menschen ermutigen, der eigenen Intuition zu trauen und sich auf ein ehrliches Miteinander mit den Mitmenschen und der Umwelt einzulassen
Interview Achtsamkeit Zuversicht Mut LebenskriseDie Schauspielerin Christina Hecke ist davon überzeugt: Wir Menschen wissen von klein auf, dass wir miteinander und mit allem Leben verbunden sind – eine Intuition, die uns oft genug verloren geht, die aber unabdingbare Voraussetzung dafür ist, einander wirklich begegnen zu können. In ihrem Buch »Mal ehrlich« erzählt Christina Hecke aus ihrem Leben und schildert, wodurch ihre Erkenntnis dieser Allverbundenheit gereift ist – u.a. durch eine Nahtoderfahrung. Pointiert beschreibt sie entlang biografischer Stationen, welche Auswirkungen dieser Blick hinter unser Leben ganz konkret haben kann: privat und beruflich, gesellschaftlich und global.
Lebe gut: »Mal ehrlich« – Sie nehmen den Titel Ihres Buchs ernst und erzählen darin von Ihrer schwierigen Kindheit, von Problemen innerhalb Ihrer Familie, von seelischen Verletzungen, von Ihrem Suizidversuch. Weshalb diese schonungslose Offenheit?
Christina Hecke: Der Grund für meine Offenheit ist einfach: Es ist aus meiner Sicht Zeit, die Dramatik aus den Ereignissen zu nehmen und sie als das zu sehen, was sie sind: Erfahrungen. Wir sind letztlich alle von irgendwem, irgendwann, irgendwo so tief verletzt worden, dass wir uns von der gemeinsamen Wahrheit abgeschnitten haben. Verständnis und Offenheit sind Bewertungen und Verhärtung gewichen. Selbstschutz als Credo. Und fortan ein Gesehen und Geliebt-werden-wollen. Diese Sehnsucht kann in Hass umschlagen, wenn sie nicht gestillt ist. Und so ist jeder nur Teil einer unaufgeräumten Verkettung, verantwortungslos bisweilen, nicht willens, an das Gemeinsame wieder anzuknüpfen. Und um diese Transparenz wieder herzustellen, habe ich »Mal ehrlich« geschrieben.
Lebe gut: Vom ersten Trauma im Ballettunterricht bis zu Kommentaren zu Ihrer Kinderlosigkeit – immer wieder sind Sie in Ihrem Leben verglichen, beurteilt und gewertet worden. Mal ehrlich – wie halten Sie es Ihrerseits damit?
Christina Hecke: Mal ehrlich: nobody is perfect. Und wie ich von Urteilen zerfressen war, als mich die Verletzungen meiner Kindertage noch fest im Griff hatten! Bis zu dem Zeitpunkt, an dem mir klar wurde: Verletzungen gibt es nicht! Es gibt schmerzvolle Erfahrungen, ja! Aber wie lange wir zulassen, davon getrieben zu sein, oder daran festhalten, liegt an uns. In dem Moment, in dem mir klar wurde, dass alles zusammenhängt, wurde für mich auch sichtbar, dass nichts ohne Grund geschieht. Und also alles, ob schön oder schlimm, nur Teil einer Erfahrbarkeit ist. Ganz unemotional. Und dass es an uns liegt, was wir daraus machen. Die Tatsache, dass in diesem den Verstand sprengenden Netz aus Zusammenhängen alles einen Sinn ergibt, macht es unmöglich, über etwas oder jemanden zu urteilen. Das Urteil kommt ja nur aus der eigenen (Be-)Wertung einer Sachlage. Die Bewertung beginnt also im Selbst. Und da gilt es, aufzuräumen, um auch anderen entsprechend begegnen zu können. Dass wir im Krieg sind, liegt nur daran, dass wir uns entschieden haben, Dinge für richtig zu erachten. Und schon ist das Falsch geboren.
Lebe gut: »Kindergarten, Schule, Uni, Ehe, Reihenhaus, Altersvorsorge, Sargdeckel – ist das nicht trostlos?«, fragen Sie in Ihrem Buch und fordern: »Weg mit dem Sicherheitsdenken, her mit dem Urvertrauen!« Ein Modell für alle?
Christina Hecke: Ja. Ganz einfach: ja. Solange wir uns mit einem kleinen bisschen »Glück« zufriedengeben, sind wir blind für das Ausmaß unseres Handelns. Wir sind vielmehr gefragt, Globalplayer zu sein. Das heißt nicht, dass jeder auf die große Bühne muss. In Zusammenhängen, in Verantwortung zu leben – das ist damit gemeint. Nur weil wir keine Waffen aufeinander richten, heißt das nicht, dass wir uns nicht im Kriegszustand befinden. Die Währung, mit der wir jonglieren, ist Geld. Und so lange wir mitspielen können, fragt keiner nach den Zusammenhängen. Was aber, wenn diese Ignoranz ein Beitrag dazu ist, dass häusliche Gewalt, Unterdrückung am Arbeitsplatz und sexuelle Übergriffe zu unserem »Normal« geworden sind? Schon alleine ein hasserfülltes Streitgespräch sollte uns zu denken geben. Aber solange die Geranien im Vorgarten blühen, sehen wir das nicht wirklich als Problem.
Lebe gut: Hierarchien, Kontostände, Wettbewerb und Gleichgültigkeit beherrschen die Welt. An Verantwortung, wahrer Begegnung und Intimität ist kaum jemand interessiert, so stellen Sie fest. Lässt sich das mehr als nur beklagen?
Christina Hecke: Aus meiner Sicht ist es kein Klagelied. Es ist ein Weckruf. Wir können weitermachen wie bisher – und die meisten wollen das sogar. Auch wenn sich das nur durch Gleichgültigkeit ausdrückt. Die genannten Phänomene, wie Machtmissbrauch, Korruption und Gewalt, sind ja nur Folgen davon, aufgegeben zu haben, Folgen eines verhärteten Selbst, das bremst, das sogar zerstört. Und dann gibt es die, die das aushalten, die wegschauen. Mitlaufen. Wir sind alle, ausnahmslos, verantwortlich. Im Kleinen verändert sich das Große. Es braucht jeden Einzelnen in seiner Kraft – und damit meine ich nicht Kampfesbereitschaft, sondern die Bereitschaft, die Augen aufzumachen. Sehen zu wollen. Und diese Sensibilität nicht zum Zwecke des Überlebens wegzudrücken, sondern danach zu handeln. Das sind die ersten Babyschritte auf dem Weg zu einem ehrlichen Miteinander.