Kein Osterspaziergang
Auf den ersten Blick erscheint das Osterevangelium wenig österlich. Von dem, was wir allgemein mit Ostern verbinden, ist keine Spur darin zu finden. Es spricht weder von Osterliedern noch vom Oster-Alleluja, auch nicht vom Osterspaziergang in der erwachenden Natur. Die drei Frauen sind auf dem Weg zum Grab, wie unsereins zum Friedhof geht. Sie bringen Salben und Balsam mit, wie wir einen Kranz oder ein paar Schnittblumen mitnehmen. Ein Gang zum Friedhof ist alles andere als ein Osterspaziergang.
Ratlos
Für die Frauen ist nicht Ostern, sondern Karfreitag. Sie tragen ihre letzten Hoffnungen zu Grabe. Der Herr ist tot; die Geschichte mit ihm ist aus. Was bleibt ihnen da noch in ihrer Ratlosigkeit? Dankbare Erinnerung und der hilflose Versuch, mit Salben und Kräutern den Geruch der Verwesung zu bannen und die äußere Gestalt des Leichnams zu erhalten. Das ist alles. Gegen den Tod ist kein Kraut gewachsen. »Wer könnte uns den Stein vom Eingang des Grabes wegwälzen?« (3). Hart wie der Felsbrock ist die Grenze, die das Leben vom Tod trennt, eine undurchdringliche Wand. Wir stehen heute bei all unserem technischen Fortschritt ebenso ohnmächtig und hilflos davor wie die Frauen am Morgen jenes ersten Wochentages. Der Tod ist unwiderruflich. Das Leben endet im Grab.
Er ist auferstanden
Hier, am Nullpunkt menschlicher Existenz, dort, wo wir mit unseren Fähigkeiten buchstäblich am Ende sind, da beginnt Gott. Der Stein ist weggewälzt. »Ihr sucht Jesus von Nazaret, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier« (6). Am Ort des Todes ergeht die Kunde vom neuen Leben. Jesus ist auferstanden. Das ist das Fundament der Osterbotschaft und des Osterglaubens. Manche reden heute, als hätten die Jünger Jesus am Leben gehalten; sie seien zusammengekommen, hätten sich seiner erinnert und gesagt: ›Es kann noch nicht wahr sein, dass es aus ist mit ihm. Es muss doch weitergehen.‹ - Woher wissen sie das? In der Schrift ist jedenfalls nichts davon zu lesen. Angewiesen auf den Glauben der Jünger wäre Jesus im Grabe geblieben. Hätte sich nicht Gott im Tode zu ihm gestellt, er wäre arm dran - und wir wären es auch. Dann würden wir uns umsonst an ihn halten, er böte keinen Halt. Jesus lebt nicht von seiner Jünger Gnaden, er lebt aus der Kraft Gottes, »der die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ins Dasein ruft« (Röm 4,17). Das ist der Grund unserer Hoffnung. Gottes Tat besteht vor allem Auf und Ab unseres Glaubens, trotz unserer Ängste und entgegen unserem Zweifel.
Erschrecken
Jesus ist auferstanden. – Können wir noch ahnen, was das heißt? Von den Frauen wird gesagt: »Da erschraken sie sehr« (5). Das ist alles andere als eine vorübergehende Hochstimmung. Das Alleluja kommt ihnen nicht so selbstverständlich über die Lippen wie uns, die wir daran gewöhnt sind, Ostern zu feiern, wenn der Kalender es vorschreibt. Wo Gott unmittelbar am Werk ist, da verschlägtʼs den Menschen die Sprache. Es gibt kein Ostern ohne das tiefe Erschrecken darüber, dass mit dem, was hier in Christus geschehen ist, die Skala menschlicher Erwartungen gänzlich auf den Kopf gestellt ist.
Zeitenwende
Dort, wo unser Weg endet, beginnt Gott neu. Er beginnt nicht so, dass das Erdenleben dieses Jesus von Nazaret um einige Zeit verlängert wird, bis er dann in den Himmel hinein verschwindet. Dann wäre das Ganze nur eine Episode, ohne Bedeutung für uns, uninteressant. – Hier, am Grab dieses Jesus von Nazaret, setzt Gott einen neuen Anfang, beginnt er eine neue Epoche, eine neue Schöpfung, mit der der Lauf der alten Schöpfung, der alten Zeit und Welt überholt ist. Hier ist der Wendepunkt. Hier entsteht eine neue Wirklichkeit, die nicht mehr im Zeichen des Todes steht, sondern im Zeichen des Lebens.
In unserem Leben
Freilich, jetzt kommt alles darauf an, dass diese Wende vom Tod zum Leben in uns zur Wirkung kommt. »Christ ist erstanden …« Leicht istʼs gesagt und gesungen. Aber gelebt? Darum geht es, um die Übersetzung dieses Wortes in unser Leben. Man kann nicht Ostern feiern und tun, als wäre alles beim Alten geblieben. Ostern hat Folgen. Wir, die wir in der Kirche Osterlieder singen, wir sind gefragt: Merkt man das bei euch, dass Ostern ist? So viel ist uns allen doch klar: Mit etwas Verzücktheit und Hochstimmung beim Singen der Osterlieder ist noch gar nichts gewonnen. Das alles kann ja noch, so fromm es sich gibt, auf dem Weg zum Grabe liegen. Das kann so etwas sein wie der Wunsch der Frauen, mit künstlichen Mitteln eine tote Gestalt zu konservieren und mit dem Duft des Balsams den Gestank der Verwesung zu vertreiben. Wie viel in der Kirche ist solcher Mumiendienst? Sucht sie ihren Herrn bei den Toten oder bei den Lebenden? Wenn der Auferstandene ihr Fundament ist, dann darf sie nicht die Zeit damit vertrödeln, die Gräber überholter Institutionen zu pflegen.
Weitersagen
Die drei Frauen erhalten den Auftrag: »Nun aber geht und sagt seinen Jüngern und dem Petrus …« (7). Die Ostererzählungen aller Evangelien münden in den Auftrag: Geht und sagt es weiter, Jesus ist auferweckt! Ostern bleibt nur dann in uns lebendig, wenn wir bezeugen, dass Jesus lebt, wenn wir bezeugen, dass dieser Jesus mehr vermag, als das Leben zu dekorieren und den Tod mit Kränzen und schönen Reden zu verbrämen. Er kann uns dem Tod entreißen. Mit ihm ist unser Weg keine Sackgasse mehr, nicht mehr nur ein Unterwegs zum Friedhof, sondern ein Unterwegs in die Zukunft Gottes. Das zu bekennen, ist der Auftrag von Ostern.