Schweigen ist Silber, Streiten ist Gold!
Warum Konflikte in einer Partnerschaft wichtig und unvermeidbar sind und wie man sie zum Wohle der Kinder austrägt: Ein Interview mit dem Paartherapeut Guy Bodenmann.
Interview Ratgeber Liebe und Partnerschaft LebenshilfeLebe gut: Der Titel Ihres neuen Buchs, »Streitet euch!«, ist ein überraschend klares Plädoyer dafür, dass Paare Konflikte austragen sollten. Dabei dachten wir immer, Streiten sei grundsätzlich schlecht und schade der Beziehung. Ein Trugschluss also?
Guy Bodenmann: Ja, viele assoziieren mit Konflikt etwas Negatives. Dabei geht es nicht ohne Konflikte, wenn zwei Menschen in einer Paarbeziehung zusammenleben. Es gibt immer wieder Spannungen aufgrund unterschiedlicher Meinungen, Bedürfnisse oder Ziele. Störendes gilt es daher anzusprechen und zwar rechtzeitig, bevor sich daraus eine große Sache entwickelt. Darum geht es in diesem Buch.
Lebe gut: Und doch gibt es auch den destruktiven und unversöhnlichen Streit, der Schaden in der Beziehung anrichtet …
Guy Bodenmann: Wir wissen, dass es weniger die Konfliktthemen sind, welche zufriedene von unzufriedenen Paaren unterscheiden (alle streiten über dieselben Themen), sondern die Art und Weise, wie die Konflikte besprochen und zu lösen versucht werden. Es gibt eine ganze Reihe von dysfunktionalen Konfliktstilen, die Schaden anrichten. Deswegen sind jedoch nicht die Konflikte das Problem, sondern deren inadäquate Handhabung.
Warum Konflikte wichtig sind
Lebe gut: Paare bestehen aus Individuen, die üblicherweise in einer gemeinsamen Wohnung leben, ihren Lebensrhythmus aufeinander abstimmen, Entscheidungen für ihr gemeinsames Leben treffen. Lassen sich da überhaupt Konflikte vermeiden?
Guy Bodenmann: Nein. Es ist eine Illusion, dass man das Leben lang konfliktfrei miteinander auskommen kann. Im Gegenteil sind Konflikte sogar wichtig. Sie führen das Paar in den Dialog, erlauben ihm, sich besser kennenzulernen, Bedürfnisse anzusprechen und darauf eingehen zu lernen.
Lebe gut: Worüber streiten Paare eigentlich am meisten? Ist es der tägliche Kleinkrieg über die offen gelassene Zahnpastatube – oder sind es eher die »großen«, die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten, etwa zu Beziehung, Lebensplanung, Kindererziehung ...?
Guy Bodenmann: Die Ursache der meisten Konflikte sind in der Tat Banalitäten. Aber dieses vordergründige Bild täuscht. Es geht dahinterliegend eigentlich immer um relevante Themen. Man fühlt sich zu wenig gesehen und verstanden, unfair behandelt, nicht wertgeschätzt, nicht ausreichend geliebt.
Lebe gut: Gibt es Strategien, Konflikte frühzeitig zu erkennen – und rechtzeitig zu deeskalieren, bevor sie dazu führen, dass Grenzen überschritten und Verletzungen zugefügt werden?
Guy Bodenmann: Am besten ist, man spricht Störendes unverzüglich an. Wenn man Kleinigkeiten bereits unkompliziert aus dem Weg räumen kann, häufen sich weder Konfliktthemen noch negative Emotionen an. Deshalb verläuft das Gespräch meist konstruktiver. Wenn sich hingegen bereits viele negative Emotionen angestaut haben, wird dieses Unterfangen schwieriger. Starker Ärger und Wut sind unpraktisch, um sich verträglich miteinander mit den Konflikten auseinanderzusetzen.
Die verschiedenen Arten von Konflikten
Lebe gut: Ein wichtiges Kapitel in Ihrem Buch nehmen Konfliktstile ein. Sie können sehr unterschiedlich sein – und Ursache dafür, dass Paare immer wieder in Eskalationsspiralen geraten, obwohl der jeweilige Konflikt an sich lösbar wäre.
Guy Bodenmann: Ich unterscheide im Buch fünf typische destruktive Konfliktstile: den vermeidenden, den schwelenden, den passivaggressiven, den verbal-aggressiven und den gewaltsamen Konfliktstil. Damit wird deutlich, wie unterschiedlich Paare streiten können. Bei aller Unterschiedlichkeit bleibt bei allen gleich, dass sie zu Verletzungen führen und die Beziehungszufriedenheit unterminieren. Diesen fünf negativen Konfliktstilen wird der konstruktive Konfliktstil gegenübergestellt, bei dem es dem Paar gelingt, wesentliche Aspekte einer gelingenden Kommunikation umzusetzen: emotionale Selbstöffnung, Zuhören, Verstehen und gemeinsam Lösungen finden.
Den richtigen Zeitpunkt abpassen
Lebe gut: Wir können also festhalten: Streit ist wichtig. In der Süddeutschen Zeitung riet ein Artikel kürzlich, sich jedoch möglichst nicht im Unterzucker bzw. hungrig zu streiten. Würden Sie dem beipflichten?
Guy Bodenmann: Unbedingt! Es gilt tatsächlich, den richtigen Zeitpunkt zu wählen. Wenn bereits Stress herrscht, die Mahlzeiten bevorstehen oder die Kinder zu Bett gebracht werden müssen, sollte das Konfliktgespräch auf später verschoben werden. Gute Bedingungen zu schaffen ist ein erster wichtiger Schritt für das Gelingen der Auseinandersetzung. Beide müssen zum Gespräch bereit sein und Interesse an einer Lösung zeigen. Aber es reicht, wenn eine/r der beiden die Initiative ergreift, und den Anstoß zum Konfliktgespräch gibt.
Dieses Interview erschien in unserem Kundenmagazin Herbst/Winter 2023.
Hören Sie weiterführend in unserem Lebe gut-Podcast Dr. Guy Bodenmann. Er belechtet im Interview, warum wir Streit brauchen und was »Streitkultur« eigentlich ausmacht.