Der Tag der Herzlichkeit
Wie es dazu kam, dass der »Tag der Herzlichkeit« ausgerufen wurde und welche Rolle er dabei spielt – ein Beitrag von Paul M. Zulehner.
Glaube Gesellschaft HoffnungGemeinsame Gedenktage sind in Mode gekommen. So wird jährlich ein Internationaler Tag des Friedens begangen. Andere feiern den Tag der Blockflöte oder der italienischen Küche. Die Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada begehen einen Tag der Murmeltiere. Weltweit steht ein Tag der Geschwisterlichkeit der Menschen im Kalender.
Auch Erinnerungsnächte erfreuen sich zunehmender Beliebtheit: die lange Nacht der Kirchen oder der Museen. Erinnert wird an Bedrohliches wie den Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Die Aufmerksamkeit wird auf Gefährdetes wie die Schöpfung oder den Frieden gelenkt. Einrichtungen, die weit unter ihrem Wert für das kulturelle Leben beurteilt werden, wie Museen oder Kirchen, werben nächtens um Sympathie. Könnte es auch auf den Tag der Herzlichkeit zutreffen, dass er für etwas wirbt, das gefährdet ist – Herzlichkeit?
Von der Entstehung des Tages der Herzlichkeit
Entstanden ist der Tag der Herzlichkeit im »heiligen Land Tirol« aus dem traditionellen »Herz-Jesu-Fest«. Die Herz-Jesu-Verehrung, angeregt durch die französische Nonne und Mystikerin Margareta Maria Alacoque (1647–1690), war auch in Tirol kirchlich eingebürgert. Die Jesuiten sorgten für ihre Verbreitung. Große in Innsbruck lehrende Theologen wie Hugo und Karl Rahner vertieften ihr geistliches Fundament und arbeiteten heraus, dass sie das Innerste des christlichen Glaubens berührt: Gott, der ein Herz für die Welt hat, ja, im auferstandenen Christus selbst zum Herz der Welt wurde.
Als Tiroler Landesfeiertag hat das Fest eine kriegerische Vorgeschichte. Im Jahre 1796 wollten Napoleonische und Bayerische Truppen das Land Tirol besetzen. In dieser Gefahr vertraute der Landtag Tirol dem Herzen Jesu an. Andreas Hofer und seine Truppen siegten. Das Herz-Jesu-Fest sollte jährlich an diesen denkwürdigen Sieg erinnern. An diesem Tag wurden nicht nur Dankgottesdienste gefeiert. Es wurden auf den Bergen Tirols Herz-Jesu-Feuer entzündet, die ich selbst in meiner Innsbrucker Studienzeit bestaunen konnte.
Mehr »Herz« für das Land
Heute ist das »heilige Land« Tirol nicht mehr so fromm, wie die Mitglieder des Landtags im 18. Jahrhundert es waren. Auch beim Brauch des Herz-Jesu-Feuers geht es mehr um das beeindruckende Event als um einen feurigen Dank für den göttlichen Landesschutz.
Der Tiroler Volksbischof Reinhold Stecher prägte den Satz: »Unsere Welt ruft nach Herz!« In seinem geistigen Umfeld konnte leicht die Idee aufkommen, dem Landesfest und seinem Brauchtum eine neue Bedeutung einzustiften. Der Tag der Herzlichkeit wurde ausgerufen. Erstmals wurde er am 3.6.2016 begangen. Sein Ziel: »Ein Klima des Dialogs und Respekts zu fördern und eine Kultur der Herzlichkeit, Hilfsbereitschaft und des Zusammenhalts zu unterstützen«.
Der Würzburger Caritasdirektor Clemens Bieber ist eine Art »Wahltiroler«. Die Verleihung des Tiroler Adlers durch das Land Tirol würdigte ihn dafür. Als erfahrener Christ kannte er natürlich die Herz-Jesu-Tradition. Dank seiner Nähe zu Tirol erlebte er die Ausdünnung des Festes mit. Ihn beeindruckte daher der originelle Erneuerungsversuch in der Form eines Tages der Herzlichkeit. Ein solcher Tag werde nicht nur dem Land Tirol guttun. Vielmehr könnten seiner Überzeugung nach auch sein Land Bayern, näherhin Unterfranken, und die ihm anvertraute Diözesancaritas von einem solchen Tag viel gewinnen.
So rief er in seinem Verband im Jahre 2023, am 16.6., einen Tag der Herzlichkeit aus und beging diesen mit den Mitarbeitenden der Caritas. Mir traute er eine inspirierende Festrede zu. Als Titel vereinbarten wir: »Herzlichkeit in einer herzlosen Welt.« Ich riskierte als Untertitel: »Kardiologische Meditationen«.
Offenbar war es mir gelungen, die Herzen der Zuhörenden zu berühren und zu bewegen. Der Wunsch, den Vortrag zu verschriftlichen und zu veröffentlichen wurde an mich herangetragen. Ich verdanke es meinem langjährigen Hausverlag in Ostfildern mit meiner ständigen umsichtigen Lektorin Gertrud Widmann, dass er mich zur Veröffentlichung ermutigt hat.
Von »Kardiologischen Meditationen« zu »Couragierten Meditationen«
Meinem Buch liegt im Kern dieser Vortrag zugrunde. Ich habe ihn für die Publikation angereichert, ohne ihm die Leichtigkeit des gesprochenen Wortes zu nehmen. Den etwas gewöhnungsbedürftigen Untertitel »Kardiologische Meditationen« habe ich auf »Couragierte Meditationen« abgeändert. Dabei bleibt die »Kardiologie«, also die medizinische Wissenschaft vom Herzen, seiner Entwicklung und Fehlentwicklungen, eine ständige Inspirationsquelle. Dazu gesellen sich als weitere Quellen alltagssprachliche Redewendungen sowie die 944 Bibelverse, in denen vom Herzen in außerordentlich vielfältiger Weise die Rede ist.
»Couragiert« ist angebracht. Denn ich wollte im Vortrag die Herzlichkeit »politisieren«. Es ist gut, das eigene Herz spirituell zu pflegen und ein Leben lang ein liebendes Herz zu formen. Zugleich braucht es möglichst viele Menschen, die aus ganzem Herzen handelnd dazu beitragen, dass die Welt von morgen weniger »herzlos« ist. Auch dieses politische Handeln ist eine Form christlicher Spiritualität. Eben solches herzhaftes mystisch-politisches Verändern der Welt meine ich mit »couragiert handeln«.
Das macht auch sprachlich Sinn. Denn couragiert leitet sich ab von cor und agere: Wer couragiert handelt, folgt ihrem, seinem Herzen. Wo der Tag der Herzlichkeit in dieser Weise couragiert begangen wird, ist die Welt am nächsten Tag weniger herzlos. Zumindest im Modus des entschlossenen Wünschens.
Paul M. Zulehner, Auszug aus der Einführung des Buches »Herzlichkeit in einer herzlosen Welt – Couragierte Meditationen«