Thomas Söding: »Wir haben jetzt eine Chance«

Reformbereite und Änderungsunwillige – Die 4. Synodalversammlung des Synodalen Wegs der katholischen Kirche in Deutschland hat vom 8. bis 10. September 2022 stattgefunden. Ein Gespräch mit Thomas Söding.

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Thomas Söding ist Bibelwissenschaftler für das Neue Testament, Professor an der Ruhr-Universität Bochum, und als verheirateter Laie in den Reformprozessen der katholischen Kirche engagiert: im Präsidium des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und als Vizepräsident des Synodalen Wegs. Dieser Weg setzt für ihn eine Zäsur und bietet eine Chance, die jetzt aufgegriffen und weitergeführt werden muss.


Lebe gut: Die 4. Synodalversammlung hat stattgefunden. Mit welchem Eindruck sind Sie als Vizepräsident des Synodalen Wegs nach Hause gefahren?

Thomas Söding: Die katholische Kirche macht sich auf den Weg. Dieser Weg ist synodal. Es gibt Schlaglöcher. Es gibt auch Engpässe. Aber er ist keine Sackgasse. Er führt in die Realität. Er führt auch zu einer Neuentdeckung des Glaubens. Das war immer schon so, von den neutestamentlichen Anfängen an. Wir schreiben heute das Jahr 2022 und haben eine Zäsur gesetzt. Es wird weitere Krisen geben. Aber die Möglichkeiten, sie zu bestehen, haben sich klar verbessert. Das ist wichtig – nicht nur für Mitglieder der katholischen Kirche.

Lebe gut: Die Aufdeckung des systemischen Machtmissbrauchs ist der Auslöser des Synodalen Weges. Steht das Problem noch im Fokus? Oder wird es durch innerkirchliche Kontroversen überlagert?

Thomas Söding: Der Machtmissbrauch ist nicht nur ein Problem der Bischöfe. Sie haben eine besondere Verantwortung. Zu der müssen sie stehen, nicht nur dadurch, dass sie persönliche Fehler zugeben, sondern auch, indem sie Aufklärung und Aufarbeitung mit echten Reformen verbinden. Aber es hat zu viel Wegschauen und Nicht-Wahrhaben-Wollen auch im Kirchenvolk gegeben, als dass man die ganze Verantwortung nur auf die Bischöfe abschieben könnte. Der Synodale Weg hat diese Lektion gelernt. Die Zeugnisse, die kritischen Analysen, die Statements der Betroffenen sind die dichtesten Momente der Synodalversammlungen. Freilich: Es darf nicht bei Worten bleiben. Es müssen Taten folgen.

Lebe gut: Der Grundlagentext zur Neuorientierung katholischer Sexualethik scheiterte auf der 4. Synodalversammlung an einer bischöflichen Sperrminorität. Wird das weiterwirkende Folgen haben?

Thomas Söding: Auf der Synodalversammlung war es eine Katastrophe – im genauen Sinn des Wortes: ein Desaster, das zu einer Wende geführt hat. Die katholische Kirche hat sich seit dem 19. Jahrhundert in fataler Weise auf das Thema Sexualität versteift. Sie hat versucht, mit tausend Verboten Macht über Menschen zu gewinnen, ihnen ein schlechtes Gewissen zu machen. Die Abstimmung hat gezeigt: Weit mehr als 90 Prozent aller Delegierten wollen eine nachhaltige Änderung, auch mehr als 60 Prozent der Bischöfe. Aber 3 Stimmen haben gefehlt. Wir halten uns streng an Satzung und Geschäftsordnung. Knapp vorbei ist auch daneben. Aber wir sind vor der Sperrminorität nicht in die Knie gegangen. Wir haben verbindlich für eine Änderung des Arbeitsrechts gestimmt, das die Fixierung von »Loyalitätsobliegenheiten« auf Sexualität auflöst. Wir haben eine lehramtliche Änderung der Einstellung zu Homosexualität gefordert – auch mit der erforderlichen Zweidrittel-Mehrheit der Bischöfe.

Lebe gut: Manche Handlungstexte können in deutschen Bistümern umgesetzt werden, anderes bleibt ein Appell nach Rom und an eine synodale Neubesinnung der Weltkirche. Wie wird es weitergehen?

Thomas Söding: Genau so, mit dieser Differenzierung, aber auch mit dieser Kraft. Wir haben noch eine Synodalversammlung vor uns. Wir werden nicht das gesamte Arbeitsprogramm, das wir uns vorgenommen hatten, bewältigen. Aber wir werden wichtige weitere Beschlüsse fassen. Und wir haben ein Konzept, wie es weitergeht. Das ist neu. Der weltweite Synodalprozess hat gezeigt: Was in Deutschland diskutiert wird, wird überall diskutiert. Wir machen Probleme sichtbar, bieten aber auch Lösungen an. Der Synodale Weg bietet uns die Möglichkeit – wir haben sie genutzt, so gut es ging.

Lebe gut: Die katholische Kirche in Deutschland wird von außen als »Gremienkatholizismus« wahrgenommen. Was ist das Neue an dem Beschluss, einen »Synodalen Rat« zu schaffen? Selbst die Bischofskonferenz kann kirchenrechtlich verbindliche Schritte nur gehen, wenn der Diözesanbischof Beschlüsse in seinem Bistum in Kraft setzt. Was soll die Aufgabe eines überdiözesanen Synodalen Rats sein? Werden Sie selbst dafür zur Verfügung stehen?

Thomas Söding: Bislang gibt es viele gemeinsame Beratungsgremien. Der Synodale Weg sagt: Beraten und Entscheiden gehören zusammen. Bislang gibt es eine »Gemeinsame Konferenz« zwischen dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und der Bischofskonferenz. Diese »Gemeinsame Konferenz« war eine Frucht der Würzburger Synode (1971–1975). Sie war wichtig, ist aber auch über Beratungen nicht hinausgekommen. Jetzt werden wir ein Entscheidungsgremium haben. Und wir schaffen Platz für andere: für Ordensleute, für alle, die in der Pastoral tätig sind. Wir brauchen Generationen- und Geschlechtergerechtigkeit. Das ist ein Durchbruch.

Wir brauchen aber noch Zeit für die genaue Ausgestaltung. Dafür haben wir ein Instrument. Es kann bereits voll arbeiten – und wird der katholischen Kirche in Deutschland guttun. Das ZdK wird Plätze besetzen. Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, persönliche Ambitionen anzumelden. Ich setze mich dafür ein, dass im ZdK ein überzeugendes Gesamtpaket geschnürt wird.

Lebe gut: Bahnt sich eine Ausübung des bischöflichen Amtes an, das in der demokratischen Gegenwartskultur angekommen ist?

Thomas Söding: Das ist die große Chance, die jetzt nicht verspielt werden darf. Wir denken nicht in den Kategorien Regierung und Parlament mit Opposition. Wir denken auch nicht in Fraktionen: hier die Bischöfe, dort alle anderen. Aber wir lösen die Orientierung der katholischen Kirchenverfassung auf monarchische Modelle auf. Wir werden synodal. Das heißt: Wir sind gemeinsam unterwegs. Das Zweite Vatikanische Konzil hat das Bischofsamt gegenüber dem Papst gestärkt. Es hat nicht geklärt, wie Bischöfe den Gläubigen ihrer Ortskirche gegenüber verantwortlich sind. Wir haben jetzt eine Chance. Die muss genutzt werden. Das fordert nicht nur die Bischöfe. Die ganze Kirche muss anfangen, ihr Innenleben neu zu gestalten: mehr Freiheit, mehr Verantwortung, mehr Partizipation.

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