Lebe gut: Herr Koch, Sie arbeiten seit vielen Jahren mit Kindern und Eltern in schwierigen Situationen. Eine Trennung der Eltern gehört sicherlich dazu. Was hat Sie bewogen, sich gerade mit diesem Thema ganz intensiv zu befassen?
Claus Koch: Im Rahmen von kollegialen Fallbesprechungen an Kitas und Schulen und in der Beratung von Eltern und Familientherapie habe ich immer wieder feststellen können, wie schwer es manchen Kindern fällt, mit der Trennung ihrer Eltern klarzukommen. Dies gilt besonders dann, wenn die Kinder die Konflikte ihrer Eltern schon länger vor der Trennung miterleben mussten, wenn sie in gerichtliche Auseinandersetzungen einbezogen wurden oder sie den Kontakt zu einem Elternteil fast gänzlich verloren hatten. Auf der anderen Seite habe ich aber sehr viele Kinder und Jugendliche erlebt, die gut mit der Trennung ihrer Eltern umgehen konnten. Warum also fällt den einen die Trennung oder Scheidung ihrer Eltern einfacher als anderen? Diese Frage habe ich mir immer wieder gestellt und darüber – mit anderen – geforscht und nachgedacht. Im Laufe der Zeit konnte ich schließlich »Schutzfaktoren« herausfinden, die am besten dabei helfen, dass Kinder mit ungünstigen Spätfolgen der Trennung ihrer Eltern nicht mehr zu kämpfen haben. Besonders um diese »Schutzfaktoren« geht es jetzt in meinem Buch.
Nach einer Trennung wieder glücklich werden
Lebe gut: Denken Sie, eine Trennung der Eltern ist durch die hohe Scheidungsrate heute für die Kinder leichter zu verkraften als in früheren Jahrzehnten, als Scheidungen noch die Ausnahme waren?
Claus Koch: Ja und nein. Zum einen hilft es Kindern wirklich, wenn es in ihrer Kita-Gruppe oder Schulklasse noch viele andere »Trennungskinder« gibt. Trennung und Scheidung kommen offensichtlich in vielen Familien vor und es ist kein Makel, Trennungskind zu sein. Andererseits lindert diese Tatsache nicht unbedingt ihre Verlustängste und Sorgen, die – aus der Sicht von Kindern – nahezu jede Trennung und Scheidung begleiten. Kinder sind sehr treue Wesen, sie wollen nicht, dass ihre Eltern von nun an getrennte Wege gehen, sie lieben beide und sehen sie, je jünger sie sind, wie eine Einheit. Im Moment der Trennung sind sie unglücklich – was nicht bedeutet, dass sie später nicht wieder glücklich werden können. Das können sie, auch davon handelt mein Buch.
Die Elternrolle weiterhin wahrnehmen
Lebe gut: Sie betonen, es sei wichtig, dass betroffene Eltern trotz Trennungsstress und –schmerz versuchen, die Perspektive der Kinder einzunehmen. Was raten Sie Eltern, wie dies in der Situation gelingen kann? Was kann ihnen helfen, über ihre eigenen Gefühle zumindest zeitweise hinwegzusehen, um die der Kinder in den Blick zu nehmen?
Claus Koch: Es ist wichtig, dass Eltern sich bewusst sind, dass sie es sind, die beschlossen haben, sich zu trennen und ihre Kinder dieser Entscheidung, an der ihre Eltern in den meisten Fällen nicht mehr rütteln, relativ hilf- und machtlos gegenüberstehen. Wenn die Beziehung bricht, können Eltern sich neue Partnerinnen und Partner suchen, aber als Eltern für ihre Kinder gibt es sie nur einmal. Nun gilt es, den Kindern wieder Mut zu machen, ihnen die Kraft zu geben, ihr Leben selbständig und positiv gestalten zu können. Sich dessen bewusst zu sein und den Blick entsprechend auf die Kinder zu richten hilft enorm. Entscheidend ist, die Konflikte in der Partnerschaft von der Elternrolle, die ja fortbesteht, zu trennen. Das ist der Königsweg!
Beide Elternteile sollten bedingungslos für ihre Kinder da sein
Lebe gut: Manchen Kindern fällt es schwer, über ihre schmerzlichen Gefühle bei einer Trennung zu sprechen. Wie sollen Eltern darauf reagieren? Eher abwarten und das Schweigen akzeptieren oder immer wieder Gesprächsangebote und – versuche machen?
Claus Koch: Beides. Zum einen sollte man die Kinder nicht mit seiner Meinung »überfallen«, sondern ihnen Zeit und Raum geben, sich selbst zu äußern. Oft schweigen Kinder über ihren eigenen Schmerz und Kummer aus Loyalitätsgründen zu ihren Eltern. Sie wollen ihre Eltern nicht »stören« oder belasten. Wichtig ist, sie feinfühlig »im Blick« zu behalten. Etwa, wenn sich Verhaltensauffälligkeiten zeigen. In diesem Zusammenhang sollten Eltern Erzieherinnen oder Lehrer einzubeziehen. Zu sagen »Ist doch nicht so schlimm« hilft zum Zeitpunkt der Trennung keinem Kind. Entscheidend ist es, dem Kind zu vermitteln, dass man weiterhin für es da ist. Wie das gelingt, dazu mache ich in meinem Buch eine Reihe von Vorschlägen, auf die sich Kinder dann auch stützen können. Denn es gilt, ihnen die Möglichkeit zu geben, aktiv auch selbst auf den Trennungsprozess ihrer Eltern einwirken zu können, ihnen also ein Stück Selbstwirksamkeit zurückzugeben.
Lebe gut: Zweifellos gibt es im Falle der Trennung der Eltern Verhaltensweisen, die unbedingt schädlich sind, wie etwa abfälliges Reden über den jeweils anderen oder das weitgehende Verschwinden eines Elternteils aus dem Leben der Kinder. Gibt es im Gegensatz dazu auch Faktoren oder Verhaltensweisen der Eltern, die sich stark positiv auswirken und den Kindern aktiv helfen?
Claus Koch: Ja, unbedingt. Wie schon gesagt, ich nenne sie »Schutzfaktoren«. Dazu zählt unter anderem, dass man für Verlässlichkeit, Sicherheit und Geborgenheit sorgt. Dass man den Kindern das Gefühl gibt, sie »bedingungslos« zu lieben, also unabhängig davon, wie sie sich gerade fühlen. Dass man Schuldgefühle abbaut, denn viele Kinder glauben, sie seien, um sich die Trennung ihrer Eltern erklären zu können, mitschuldig. Aber auch die Eltern selbst brauchen »Schutzfaktoren«, um mit Trennung und Scheidung besser klarzukommen. Auch darauf gehe ich in meinem Buch ein.
Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Abonnieren Sie hier unseren Newsletter und erhalten Sie jede Woche weitere interessante Impulse, Geschichten und Rezepte.