»Von Menschen, die Gemeinschaft stiften, lebt die Welt«

Stefan Jürgens im Gespräch über Resilienz und was ihm in Ausnahmesituationen hilft. Aus unserer Reihe »Was stärkt uns in Krisenzeiten«

Resilienz Interview Nächstenliebe Gemeinschaft

Wir leben in äußerst herausfordernden und belastenden Zeiten. Viele Menschen fragen sich, was sie tun können, um seelisch unbeschadet durch diese schwierigen Zeiten zu kommen.
In unserer kleinen Interview-Reihe »Was stärkt uns in Krisenzeiten?« sprechen wir mit Menschen, die sich seit vielen Jahren eben dieser Frage auf ganz unterschiedliche Weise genähert haben. Sie erzählen uns, was ihnen in Ausnahmesituationen hilft und wie sie ihre Resilienz stärken, ihre seelischen Widerstandskräfte fördern.

Heute im Gespräch: Stefan Jürgens

 

Stefan Jürgens ist katholischer Priester in drei Pfarreien mit insgesamt sieben Gemeinden. Davor war er Jugendseelsorger, Geistlicher Rektor einer Akademie sowie Pfarrer in Stadtlohn und Münster. Durch das »Wort zum Sonntag« und als Buchautor ist er über seinen Gemeindebereich hinaus vielen Menschen bekannt geworden. Sein besonderes Anliegen ist eine echte, tiefe und selbstverständliche Beziehung zu Gott, die Menschen in allen Zeiten und Situationen Heimat und Kraftquelle sein kann.


Lebe gut: Herr Jürgens, was stärkt Sie in Krisenzeiten?

Stefan Jürgens: Ich lebe mit viel Kontinuität: Zeiten für Gebet und Stille, die tägliche Stunde Klavierspielen, das Treffen mit guten Freunden. Dazu Nahrung für die Seele in Form guter Literatur, vor allem Lyrik. Gelassenheit und Humor sind Gaben, für die ich sehr dankbar bin. Das alles stärkt, es gibt Halt. Ich spüre, dass Gott gegenwärtig ist und mich trägt.

Lebe gut: Wenn Ängste und Sorgen doch überhandnehmen – zu welchen »Notfallmaßnahmen« greifen Sie?

Stefan Jürgens: Ich halte mich an dem fest, was mir geschenkt worden ist. Dazu gehört vor allem die Feier der heiligen Eucharistie. In ihr bin ich ganz identisch, verbunden mit Jesus, mit Gleichgesinnten und mit meiner eigenen Biographie und Berufung.

Lebe gut: Schauen wir gemeinsam in die Zukunft: Was wünschen Sie sich für sich und ihre Mitmenschen?

Stefan Jürgens: Wir brauchen weniger Ich und mehr Wir. In der jetzigen Zeit des postmodernen Individualismus erlebe ich, dass sich viele nur noch um sich selbst kümmern. Sie wollen irgendwie klarkommen und werden dabei unempfindlich für das Leiden anderer. Die Corona-Zeit hat diese Tendenz noch verstärkt. Ich erwarte nicht, dass Glaube und Kirche wieder an Relevanz gewinnen, der Abwärtstrend wird noch lange andauern, man wird das kirchliche Leben und Sterben nur palliativ begleiten können. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es immer Menschen geben wird, die den Gemeinsinn fördern, Gemeinschaft stiften und solidarisch handeln. Von diesen Menschen lebt die Welt.

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