Warum wir das Wort »Hoffnung« an die Mauern unserer Zeit sprühen sollten
Ulrich Peters, Vorstand der Schwabenverlag AG, über Hoffnung in unsteten Zeiten. Ein Neujahrsgruß und sein Wunsch für 2023 – nicht nur an die Kolleginnen und Kollegen, sondern auch an unsere Leserinnen und Leser
Neujahr Hoffnung InspirationWie beginnt man eine Neujahrsansprache in einem Jahr, in dem vieles ungewisser ist als je zuvor zu diesem Zeitpunkt? Die Welt ist ja nicht einfach neu geworden am 1. Januar 2023 um 0:00 Uhr. Krieg und Krisen, die das alte Jahr bestimmten, dauern an. Auch wir wurden nicht über Nacht zu anderen Menschen. Wir haben uns mitgebracht ins neue Jahr, so wie wir waren und nun einmal sind. Sorgen, die ihre Schatten über unsere Seelen geworfen haben, sind nicht einfach verschwunden. Hand aufs Herz: Klingt das Wort Zukunft für Sie wieder verheißungsvoll, nach einem leuchtenden Versprechen, das zuversichtlich stimmt, oder nach einem Wagnis, dessen dunkle Unbestimmtheit Sie eher verängstigt? Ich weiß es nicht. So tief kann nur jede und jeder einzelne von uns ins eigene Herz blicken. Aber ich weiß, wie ich es mit dem neuen Jahr halten möchte. Mit einer Liedzeile von Reinhard Mey gesprochen: »Ich nehme, was an Mut mir bleibt, und in der Dunkelheit sprühe ich das Wort Hoffnung auf die Mauern meiner Zeit«.
Hoffnung ist mehr als ein Prinzip
Es gibt kaum ein besseres Wort, das ich an den Anfang dieses neuen Jahres stellen könnte: Hoffnung, eine der Urkräfte, die uns gegeben sind, um das Leben zu bestehen, vielleicht auch, es überhaupt zu verstehen. Sie alle kennen vermutlich die wunderbaren Worte des Paulus aus dem 13. Kapitel des 1. Korintherbriefs: »Am Ende bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei…«. Was am Ende bleibt, dann, wenn alles gesagt ist, ist das, was Bestand hat, was wirklich wesentlich und bedeutsam ist für unser Leben – und was am Ende stimmt und so wichtig ist, kann am Anfang nicht falsch sein. Widmen wir also einige wenige Minuten am Anfang dieses neuen Jahres der Hoffnung.
Über die Hoffnung ist viel nachgedacht und geschrieben worden. Große philosophische Entwürfe stellen darauf ab. Denken Sie nur an »Das Prinzip Hoffnung«, eines der Hauptwerke Ernst Blochs. Beeindruckend ist das Mindeste, das von diesem wahrhaft großen Werk sagen kann. Aber ich glaube, dass Hoffnung mehr ist als ein Prinzip, mehr als eine Regel, nach der man sich richtet. Die Hoffnung ist etwas Elementares und gehört zu unserem Leben wie die Luft zum Atmen, vielleicht ist sie so etwas wie das Atmen unserer Seelen. Es gibt wenig Phänomene, die so fundamental, vielfältig und schwer zu beschreiben sind. Wir hoffen auf so vieles: gutes, mindestens aber annehmbares Wetter (für den Neujahrsempfang auf der Dachterrasse), ein Jahr, das bringt, was wir uns davon erwarten; dass uns gelingt, was wir uns vorgenommen haben, unsere Planungen aufgehen und wir unseren Aufgaben gewachsen sind. Wir hoffen vor allem darauf gesund zu werden oder zu bleiben, dass unsere Beziehungen glücken, es unseren Familien, Kindern, Eltern, Lebenspartnerinnen und -partnern, Freundinnen und Freunden gut geht und keiner von uns allein durchs Leben gehen muss. Wir hoffen darauf, Enttäuschungen zu überwinden, Krisen zu meistern und dass wir angesichts schwieriger und schwerer Erfahrungen am Ende die Hoffnung nicht verlieren.
Die Hoffnung möge unsere stete Begleiterin sein
Die Hoffnung ist überall und universal, allgegenwärtig, fast möchte ich sagen alltäglich. Aber eines ist sie ganz gewiss nicht: selbstverständlich. Denn wie wichtig sie für unser Leben ist, merken wir spätestens dann, wenn wir sie verlieren, weil die Lage aussichtslos erscheint, ein schweres Schicksal unabwendbar, die Anforderungen zu hoch. Wenn die Quelle der Hoffnung versiegt, verlieren wir auch unsere Lebenskraft. Erschöpfung, geistige und körperliche Ermattung, Angst, Apathie, Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit und Mutlosigkeit treten an ihre Stelle. Ohne Hoffnung, das ist meine feste Überzeugung, ist unser Leben auf die Dauer unmöglich, jedenfalls nicht ohne daran seelisch oder körperlich Schaden zu nehmen. Aber wenn wir Hoffnung haben und unabhängig davon, worauf wir sie gründen – und ob wir sie eher philosophisch, psychologisch oder theologisch verstehen –, wenn wir Hoffnung haben, ist sie ein Halt, der unsere Haltung und unser Verhalten positiv bestimmt.
Zuversichtlich denken hält gesund
Wer Hoffnung hat und wen die Hoffnung hält, ist stärker als die Umstände, seine Veranlagung und sein Umfeld, wie immer sie auch beschaffen sein mögen. Er/sie versteht sich darauf, voller Vertrauen und Mut die Möglichkeiten wahrzunehmen, die sich bieten und das eigene Leben selbstwirksam zu gestalten. Es sind nämlich weder die Umstände noch unsere Veranlagung und unser Umfeld allein, die darüber entscheiden, ob unser Leben gelingt oder misslingt, wir glücklich oder unglücklich werden, sondern immer auch die Art und Weise, wie wir damit umgehen. Hoffnungsvolle und lebensbejahende Menschen sind – so zeigen es viele empirische Studien – fröhlicher, gesünder und erfolgreicher. Das lesenswerte und inspirierende Werk »Positive Psychologie der Hoffnung« von Andreas Krafft und Andreas Walker bringt es auf die wunderbare Formel, dass wir (mindestens in den allermeisten Fällen) die Autoren unserer eigenen Lebensgeschichte seien. Aber es macht einen beträchtlichen Unterschied, ob ich in einer Haltung der Hoffnung und Zuversicht, etwas bewirken zu können, an diesem Lebensbuch schreibe oder der Hoffnungslosigkeit und Resignation darüber, nichts ausrichten zu können. Durch unsere Einstellung und Haltung zum Leben, uns selbst, unseren Mitmenschen und den Aufgaben, die uns gestellt sind, gestalten wir unsere persönliche Zukunft, aber eben auch die unserer Gesellschaft und unseres Unternehmens mit. Das Leben ist weit weniger ein Schicksal, in das wir uns fügen müssten, als eine Aufgabe, die vertrauens- und hoffnungsvoll zu gestalten, uns aufgegeben ist.
Hoffnung als Haltung
Alles kommt dabei auf das richtige Mindset an, damit wir die Hoffnung als den Halt erfahren, der unsere Haltung und unser Verhalten positiv prägt – und das fällt, auch wenn wir unsere Hoffnung religiös begründen, nicht einfach vom Himmel. Hoffnung als Haltung und Verhalten ist vielmehr ein ordentliches Stück Arbeit. Wieder und wieder den Versuch zu unternehmen trotz und womöglich gerade wegen widriger Umstände auf die Aspekte unseres Lebens fokussiert zu bleiben, die die Hoffnung nähren (gute, wohltuende Beziehungen pflegen; aufbauende Erinnerungen beleben; inspirierende Musik, Filme, Bücher und Werke der bildenden Kunst hören, lesen, sehen; eine eigene Spiritualität und kognitive Strategien entwickeln; achtsam und aufmerksam leben; Dankbarkeit kultivieren; eine heiter-aufgeräumte Lebenshaltung einnehmen) ist zugegebenermaßen eine Anstrengung, die die damit verbundenen Mühen jedoch tausendfach lohnt und sich vor allem dann bewährt, wenn das Leben hart zu uns ist. Es ist wohl kein Zufall oder psychologischer Trick, sondern eher eine ihrer höchst bemerkenswerten Wechselwirkungen, dass ausgerechnet in Zeiten der äußersten Not immer auch Hoffnung aufkeimt und aus einer hoffnungsvollen Erwartung der Zukunft Kraft für die Gegenwart erwächst.
Lassen Sie uns das Wort »Hoffnung« an die Mauern unserer Zeit sprühen
Das ist es, was ich Ihnen und uns, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, liebe Leserinnen und Leser, jeder und jedem Einzelnen für 2023 wünsche: Nicht andere oder (vermeintlich) bessere Zeiten, wir müssen mit und in denen leben, die wir vorfinden. Aber ich wünsche uns den Mut, das Wort »Hoffnung« an die Mauern unserer Zeit zu sprühen und die Hoffnung als Halt, Haltung und Verhalten neu zu entdecken. Dann, da bin ich sicher, werden wir unserem je persönlichen, aber auch dem gemeinsamen Lebensbuch ein vielversprechendes neues Kapitel 2023 hinzufügen. Ich wünsche Ihnen allen, Ihren Familien, und all denen, die Ihnen am Herzen liegen ein gutes, vor allem aber hoffnungsvolles neues Jahr. Ich tue dies mit Worten von Charles Dickens aus dessen Roman Nicholas Nickleby: »Hoffen Sie bis zuletzt! … Hoffen Sie unermüdlich. Entmutigung führt zu nichts. Hören Sie, …? Sie führt zu nichts. Lassen Sie kein Mittel unversucht. Es ist immerhin ein Trost, wenn Sie sich sagen können, dass Sie alles getan haben, was in Ihrer Macht stand. Aber geben Sie nie die Hoffnung auf, sonst nutzt Ihnen all Ihr Tun nichts. Hoffnung, Hoffnung, Hoffnung bis zuletzt!«
Ihr Ulrich Peters