Wie Frauen die Welt verändern – Der lange Weg zu Freiheit und Gleichberechtigung

Michael Korth porträtiert in seinem neuen Buch 20 Pionierinnen vom Mittelalter bis in die Gegenwart, die in ihrer Epoche von traditionellen Wegen abwichen und Pionierarbeit leisteten

Gesellschaft Toleranz Ermutigung

»Veränderung ist das, was die Leute am meisten fürchten…«, sagte Dostojewski. Umso mehr, wenn es um Veränderung im Rollenverhältnis zwischen Mann und Frau geht. Wer althergebrachte soziale und politische Strukturen ändern will, braucht nicht nur Fantasie, Energie, Selbstbewusstsein, Mut, Überzeugungskraft und Durchsetzungsvermögen, sondern auch eine gute Hand für Geld. All dies Charaktereigenschaften und Fähigkeiten werden traditionell eher Männern zugeschrieben.

Frauen, die sich die Freiheit nehmen, traditionelle Verhaltensweisen oder Systeme mit neuen Ideen weiterzuentwickeln, wurde und wird – bis auf Ausnahmen – seit Jahrtausenden ihr kühnes Ansinnen verwehrt. Man kann ohne Übertreibung sagen: Frauen gehörten in Europa und später auch in den USA grundsätzlich zur Unterschicht, ganz gleich welcher sozialen Klasse sie angehörten.

»Freiheit wird einem nicht gegeben, man muss sie sich nehmen«

So besaßen Frauen nicht einmal das Recht, ihre Stimme zu erheben und Forderungen zu stellen, denn der Herr der Frau war nach Tradition und gesetzlicher Regelung ihr Vater, ihr Ehemann oder ihr Bruder.

In ihrem berühmten, 1929 erschienenen Essay »Ein Zimmer für sich allein« forderte daher Virginia Woolf für Frauen ihren eigenen Raum, um sich in diesem Freiraum als Schriftstellerin entfalten zu können. Denn tatsächlich besaß das Verfügungsrecht über jeden Raum seit Urzeiten bis auf Ausnahmen der Besitzer des Hauses, in dem die Frau lebte, also der Vater, Ehemann, Bruder oder Dienstgeber.

In Großbritannien wurden erstmals – und das war revolutionär – 1870 und 1882 die »Married Women’s Property Acts« gesetzlich verankert, worin verheirateten Frauen eigener Besitz zugebilligt wurde. Aber erst 1919, knapp 50 Jahre später, hatten sich Britinnen das politische Wahlrecht und die freie Berufswahl erkämpft. Bis dorthin war es ein langer, demütigender Weg gewesen. »Freiheit wird einem nicht gegeben, man muss sie sich nehmen«, postulierte die Surrealistin Meret Oppenheim.

Der schwere Weg durch die Geschichte zur Gleichberechtigung

»Wir sind die Veränderung« erzählt, wie Frauen ihre gesetzlich verankerte Einschränkung und die von der männlich dominierten Gesellschaftsordnung auferlegte Bildungsferne durchbrachen. Es berichtet von mutigen Frauen, die sich unbeirrt von allen Traditionen und Widerständen Stück für Stück individuelle und gesellschaftliche Freiheit erkämpften.

Das gelang willensstarken Frauen, weil sie ihren Visionen folgten und die die dazu notwendigen Fähigkeiten und Berechtigungen erwarben. Darunter sind für ihre überragenden Leistungen berühmte Frauen wie Hildegard von Bingen, Marie Curie, Simone de Beauvoir, Coco Chanel oder Angela Merkel.

Frauen, die Außergewöhnliches, ja, sogar Zukunftsprägendes leisteten, gab es zu allen Zeiten. Doch nur selten wurden ihre Namen und Biografien überliefert. Die meisten ihrer Leistungen haben als anonyme Spenden an die Menschheit die Kulturen verschiedener Epochen bereichert. Es stellt sich die Frage: Warum ist das so?

Wie aus dem Matriarchat ein Patriarchat wurde

Die »Zähmung« und Unterwerfung der Frau durch den Mann und die permanente Kontrolle ihrer Sexualität aus Angst vor nicht »legitimer« Nachkommenschaft, begann vor circa 10.000 Jahren nach der »neolithischen Revolution«. Einige Gruppen von Jägern und Sammlern im Nahen und Mittleren Osten vom Nomadenleben gingen zur Sesshaftigkeit und Landwirtschaft über.

Die Monogamie entwickelte sich in der Ackerbauerngesellschaft aus dem Besitzdenken der körperlich stärkeren Männer, die die von den Frauen gegründeten Städte und das umliegende Acker- und Weideland gegen Fremde und wilde Tiere verteidigen mussten. Im Laufe von Generationen ging das zuvor gemeinschaftliche, von den Frauen kultivierte und organisierte Clan-Land und das damit verbundene Ortszentrum in das Eigentum der Männer über. Die meisten Männer lebten nun als Grundbesitzer mit einer Ehefrau zusammen, die ihnen eigene männliche Nachkommen gebar, welche später Hof, Land und Besitz ihres Vaters erbten. So entwickelte sich aus dem Matriarchat das Patriarchat. Seit der Einführung des Christentums in die gesellschaftsrechtlich und religiös organisierte christliche Monogamie gezwungen, gehörte die Frau dem Mann als seine »Magd« – wie es früher im Ehegelöbnis der römischen Kirche hieß.

Der Kampf für Gleichberechtigung im 20. Jahrhundert

Der Mann war der Herr, die Frau hatte zu gehorchen. Tat sie es nicht zu seiner Zufriedenheit, wurde sie bestraft. Das »Recht der mäßigen Züchtigung« wurde erst 1928 in Deutschland gesetzlich außer Kraft gesetzt. 1949 setzte die sozialdemokratische Abgeordnete Elisabeth Selbert durch, dass die Gleichberechtigung in das Grundgesetz 13 der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen wurde. Artikel 3 lautet seitdem: »Männer und Frauen sind gleichberechtigt«. In der Realität waren Frauen in den 1950er und 1960er Jahren jedoch alles andere als gleichberechtigt. Ein uneheliches Kind war für eine Frau gesellschaftlich eine Katastrophe, seine Mutter erhielt nicht einmal das Sorgerecht.

Das damals geltende Ehe- und Familienrecht bestimmte den Mann zum Alleinherrscher über Frau und Kinder. Verheiratete Frauen durften nur dann arbeiten gehen, wenn der Mann es ihnen erlaubte. Noch in den 1970er Jahren gab es die sogenannten »Leichtlohngruppen«. Auch wenn eine Frau dieselbe Arbeit verrichtete wie ein Mann, bekam sie dafür weniger Geld.

In kleinen Schritten zur Freiheit

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kämpften im englischsprachigen Raum die Suffragetten erfolgreich um das Recht auf Wahl, Bildung, Privateigentum und Erwerbsarbeit. In der Bundesrepublik Deutschland wurden die Frauen durch das »Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau« erst am 1. Juli 1958 im Ansatz emanzipiert. Sie durften nun ein Bankkonto eröffnen, ihr in die Ehe eingebrachtes Vermögen selbst verwalten. Der Mann konnte nun das Dienstverhältnis seiner Frau nicht mehr fristlos kündigen und nicht mehr über das Vermögen und das Einkommen aus der Erwerbstätigkeit der Frau verfügen. Aber erst seit 1977 darf die Frau ohne Einverständnis des Mannes erwerbstätig sein. Das Letztentscheidungsrecht des Ehemanns in allen Eheangelegenheiten wurde aufgehoben.

Bis es zu diesen Freiheiten der Frau kam, vergingen Jahrtausende. Frauen erkämpften sich neben einer gesellschaftlichen Gleichstellung, wie zum Beispiel dem Recht auf ein Universitätsstudium, auch sehr persönliche Rechte wie das Recht auf den eigenen Körper und die sexuelle Selbstbestimmung.
Der Weg aus der Leibeigenschaft – denn der Mann verfügte im wahrsten Sinne des Wortes über den Körper, die Arbeitskraft und das Vermögen seiner Frau -- war lang und zermürbend… führte aber Schritt für Schritt zur Freiheit.

Aus dem Vorwort von »Wir sind die Veränderung« von Michael Korth

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Michael Korth

Michael Korth

Michael Korth ist Experte für die Musik des Mittelalters und Herausgeber von Werken großer Dichtersänger. Seine Bücher, Bühnenwerke und Tonträger erstrecken sich über eine große Bandbreite…

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