Wie wir unsere Kinder mutig in die Welt gehen lassen

Viele Kinder entwickeln heute vermehrt Ängste und Sorgen. Auslöser hierfür sind Kriege, Krisen, Klimawandel und auch der Leistungsdruck in unserer Gesellschaft. Ein Interview mit der Psychologin Elisabeth Raffauf.

Interview Ratgeber Familie

Kinder und Jugendliche sind heute eindeutig mehr belastet als frühere Generationen, darin stimmen aktuelle Studien überein. Viele Kinder haben eine generelle Angst vor der Zukunft und die Sorge, das Leben einfach nicht zu schaffen. Elisabeth Raffauf nimmt die Ängste der Kinder und Jugendlichen ernst und ergründet die Zusammenhänge mit der aktuellen Weltlage, aber auch damit, wie Eltern eigentlich mit ihren eigenen Ängsten umgehen. Sie gibt wertvolle Hinweise aus ihrer Praxis, wie man Ängsten trotz der vielen Auslöser etwas entgegensetzen und Kindern Vertrauen in die Welt vermitteln kann.

Lebe gut: Krieg, Migration, die Spaltung unserer Gesellschaft, wirtschaftlicher Abstieg – die zunehmenden Krisen der letzten Jahre verunsichern und ängstigen uns. Lassen sich solche Ängste von Kindern eigentlich fernhalten? Und – sollte man sie von Kindern und Jugendlichen überhaupt fernhalten?

Elisabeth Raffauf: Es ist sehr verständlich, dass Erwachsene den Wunsch haben, solche Themen von den Kindern fernzuhalten, aber es ist nicht möglich. Kinder bekommen viel mehr mit, als wir vielleicht denken. Sie merken, wenn die Eltern ängstlich oder aufgeregt sind, sie nehmen die Schwingungen im Raum wahr und natürlich sehen sie Bilder von Kriegen und anderen Katastrophen auf den Screens im Bus, auf Zeitungs-Covers oder sie hören, wie in der Kita oder der Grundschule Erwachsene und auch andere Kinder über Krieg und Terror sprechen. Sie erleben Geflüchtete in der Klasse. Diese Dinge kreisen in ihren Köpfen und es hilft ihnen, wenn sie darüber sprechen können. Weil sie das, was sie wahrnehmen, dann einordnen können. Das reduziert Angst. Das heißt nicht, dass Eltern ihren Kindern solche Gespräche aufdrängen sollten oder ihnen im Detail schlimme Dinge erzählen, aber, dass sie aufmerksam sein sollten für das, was ihr Kind beschäftigt.

Whats App, Facebook, Instagram und Co.

Lebe gut: Welche Rolle spielen die sozialen Netzwerke, die immer mehr in die Lebenswelt unserer Kinder einsickern, süchtig machende Parallelwelten aufbauen und mit Phänomenen wie Mobbing, Essstörungen, aber auch Verschwörungsmythen, Pornos und Gewalt einhergehen?

Elisabeth Raffauf: Die sozialen Netzwerke sind Fluch und Segen zugleich. Wenn wir über den Fluch sprechen, dann ist es die Verführung, in den sozialen Netzwerken zu verschwinden, nicht mehr zu üben, wie das reale Leben geht, wie Kontakt geht. Das macht einsam. Dazu kommt – man sieht nicht mehr, wie andere empfinden, wenn sie beleidigende Nachrichten erhalten, man glaubt Dinge, die Influencer einem erzählen, man sieht schreckliche Bilder, die man nicht mehr aus dem Kopf bekommt und kommt möglicherweise in gefährliche Kontakte. Alles Dinge, die Angst machen. Deshalb ist es so wichtig, dass der Umgang mit den sozialen Medien begleitet und begrenzt wird. Keine leichte Aufgabe für Eltern, Lehrerinnen und Lehrer.

Lebe gut: Inwieweit fördert die weit verbreitete »Overprotection«, also die überbesorgte Grundhaltung von Eltern und Erziehern, dass Kinder nicht nur unselbständig, sondern auch unsicher und ängstlich reagieren – und wie lässt sie sich vermeiden?

Elisabeth Raffauf: Wenn wir den Kindern alles abnehmen, machen sie nicht die Erfahrung, dass sie auch selber etwas können. Diese Erfahrung ist aber sehr wichtig für ihr Selbstvertrauen. Deshalb ist es gut, wenn Eltern immer wieder überprüfen, was kann das Kind schon, was möchte es allein machen, wo kann ich es ermutigen etwas Neues auszuprobieren. Wenn Eltern den Kindern etwas zutrauen – natürlich altersentsprechend - stärkt das die Kinder. Vertrauen in ihre Fähigkeiten schafft Selbstvertrauen.

Den Ängsten »Raum« geben

Lebe gut: »German angst« wird uns im Ausland immer mal wieder unterstellt – doch bekanntlich steckt in jedem Klischee ein Körnchen Wahrheit. Wenn wir in Deutschland also besonders furchtsam und mutlos sind – wie sollen wir unseren Kindern helfen, angstfrei in die Zukunft zu gehen?

Elisabeth Raffauf: Es geht nicht darum, dass die Angst weg sein soll. Hilfreicher ist es, wenn wir Erwachsenen unsere eigene Angst anschauen und sie bearbeiten. Dann müssen wir uns auch nicht vor der Angst unserer Kinder fürchten. Dann könnten sie zu uns kommen und wir können über die Angst sprechen und ihr einen Platz geben. Das reduziert Angst. Gefühle benennen und erlauben ist eine wichtige Maßnahme bei Angst. Gleichzeitig wäre es hilfreich, wenn auf gesellschaftlicher Ebene etwas passiert: Weniger Druck, perfekt sein zu müssen, ein Schulsystem, das individueller auf die Kinder eingehen könnte, wären ideal. Es gibt schon wichtige und Hoffnung machende Vorstöße in diese Richtung. Ein paar habe ich in meinem Buch vorgestellt.


Dieses Interview ist in unserem Kundenmagazin Frühjahr 2025 erschienen.


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