»Wäre Schwester Lea Ackermann nicht bei ›Unserer Lieben Frau von Afrika‹ gelandet, hätte sie auch Revolutionärin oder Staatschefin werden können. Ihre Mischung von Gerechtigkeitssinn, Empörung und Handlungsfähigkeit ist explosiv«, bescheinigt ihr niemand Geringeres als das Frauenmagazin EMMA.
Geboren am 2. Februar 1937 in Völklingen, begann sie als 16-Jährige eine Lehre bei der Saarländischen Landesbank, für die sie bis 1960 in Saarbrücken und Paris tätig war. Da hängte sie ihre Karriere an den Nagel und wurde Ordensschwester.
»Ich bin mit 23 Jahren ins Kloster eingetreten, weil ich fromm war – und bin. In eine Missionsgemeinschaft, weil ich unbedingt die große, weite Welt sehen wollte. Und Afrika war weit genug weg und interessant genug«, erzählt sie in dem biografischen Porträt »Der Kampf geht weiter«. Auf das Noviziat in Trier folgten Studien in Toulouse und München.
1967 begann ihr erster Einsatz in Afrika. Sie war Lehrerin an einer Internats-Mittelschule für Mädchen und am angeschlossenen Lehrerinnenseminar in Nyanza (Ruanda). Nach drei Jahren wurde sie Direktorin dieser beiden Schulen.
1972 kehrte sie nach Deutschland zurück. An der Uni München studierte sie Pädagogik, Psychologie und Theologie; 1977 erlangte sie den Doktortitel mit einer Arbeit über »Erziehung und Bildung in Ruanda – Probleme und Möglichkeiten eines eigenständigen Weges«. Die folgenden sieben Jahre arbeitete sie als Bildungsreferentin bei missio München und als Dozentin für Sozialpädagogik an der Katholischen Universität Eichstätt.
1985 wurde Lea Ackermann von ihrem Orden erneut nach Afrika entsandt. In der kenianischen Hafenstadt Mombasa begegnete sie Frauen, die kulturell und wirtschaftlich entwurzelt und in die Elendsprostitution getrieben waren, um sich und ihren Angehörigen das physische Überleben zu ermöglichen. Diese Begegnung sollte Schwester Leas Leben nachhaltig verändern und der Impuls für ihr Lebenswerk werden.
Sie gründete in Mombasa SOLWODI (Solidarity with Women in Distress), eine Einrichtung, um kenianische Frauen und Mädchen beim Ausstieg aus der Armutsprostitution zu unterstützen. Aus dieser ersten Gründung entwickelte sich sehr rasch die Zentrale eines ganzen Netzwerks von 34 SOLWODI-Niederlassungen in Kenia.
Nach zwei Jahren gründete sie 1987 SOLWODI Deutschland mit Sitz in Boppard – nicht nur als Spendenprokur für Afrika, sondern auch als Anlaufstelle für Migrantinnen in Notsituationen, z.B. Opfer von Heiratshandel, Menschenhandel und Zwangsprostitution, Opfer von Beziehungsgewalt oder Frauen und Mädchen, die von Zwangsheirat bedroht oder aus Zwangsehen geflohen sind.
Schwester Lea hat die Arbeit beharrlich fortgeführt und um immer neue Bereiche erweitert. So gründete sie in Mombasa SOLGIDI (Solidarity with Girls in Distress) für die Töchter von Frauen in der Armutsprostitution, um ihnen eine andere Perspektive zu ermöglichen. In Deutschland schulte sie RichterInnen und StaatsanwältInnen zum Thema »Effektivierung der Strafverfolgung in Menschenhandelsverfahren durch Kooperation mit Fachberatungsstellen«. Während der Fußball-WM 2006 in Deutschland leitete sie die Kampagne »Nein zur Zwangsprostitution« und richtete einen Notruf für betroffene Frauen ein, während sie gleichzeitig in deren osteuropäischen Herkunftsländern Aufklärungs- und Präventionsarbeit leistete. 2008 gründete sie in Mombasa ein Schutzhaus für Straßenkinder und junge Prostituierte; 2010 errichtete sie SOLWODI in Rumänien und 2013 in Österreich.
Bis 2020 hat sie SOLWODI selbst geleitet. Ihr Engagement für Frauenrechte ist mit zahlreichen Ehrungen und Auszeichnungen gewürdigt worden.
Über ihr Lebenswerk sagt Schwester Lea in »Der Kampf geht weiter«: »Es ging mir nie um die große Vision. Danach bin ich früher oft gefragt worden. Nein, ich war eher immer auf der Seite einer großen, aber auch leidenschaftlichen und kompetenten Nüchternheit. Wenn ich etwas gesehen habe, was nicht in Ordnung war, dann habe ich es angepackt und nicht lange um Visionen gerungen.«
In dieser pragmatischen Art ist Großes entstanden. Schwester Lea hat die Probleme des Unrechts gegen Frauen, v.a. von Elendsprostitution und Menschenhandel, nicht lösen können – kein einzelner Mensch kann das. Aber ihr Einsatz hat für viele konkrete Menschen einen Unterschied gebracht. Wir verneigen uns vor dieser Frau und wissen uns als Verlag ihren Anliegen weiterhin verpflichtet.
Ich sehne mich danach, dass es mehr junge Frauen gibt, die sich reinhängen und leidenschaftlich dafür einsetzen, dass sich die Situation von Frauen in der Gesellschaft, in der Politik, in der Kirche verbessert, dass die Frauen wieder die Würde anerkannt bekommen, die ihnen zusteht, keine ›Würde‹, die ihnen von ein paar großzügigen Männern zugestanden wird.
Ich sehne mich danach, dass religiös motivierte Frauen und Männer sich zusammenschließen. Nicht um etwas Großes und Schlagzeilenträchtiges zu machen, sondern um das, was sie glauben, im konkreten täglichen Leben umzusetzen, um ihrem Glauben eine Gestalt zu geben. Auf der Basis eines wohlwollenden und freundlichen Zusammenlebens. Es gibt viele Frauen, die religiös interessiert und motiviert sind, die aber als Einzelkämpferinnen unterwegs sind. Und da denke ich mir: Warum schließen wir uns nicht zusammen? Warum vernetzen wir uns nicht? Dadurch könnten wir mehr erreichen, davon bin ich überzeugt.