Gemeinsam die Zukunft gestalten
Das HUMAN International Culture Project ist ein Projekt, das die Menschenrechte greifbar und erlebbar machen möchte. Pierre Stutz und Helge Burggrabe im Interview
Verantwortung Gesellschaft Gemeinschaft Toleranz InterviewHelge Burggrabe komponierte im Jahr 2020 die »HUMAN Suite für Orchester«. Dieses Orchesterstück geht zurück auf einen Besuch in einer Brüsseler Schule und eine Diskussion mit den Schülerinnen und Schülern zum Thema Menschsein, Gerechtigkeit und Freiheit. Im Anschluss an diese Begegnung ließ er sich von der Idee der Menschenrechte zu seinem Musikstück inspirieren.
Es entstand darauffolgend das rein spendenbasierte Kulturprojekt HUMAN. Mit dem Projekt soll durch zeitgenössische Musik und Community Dance ein visionäres, kraftvolles und bewegendes Zeichen für mehr Menschlichkeit und ein friedliches Zusammenleben gesetzt werden.
Im Februar 2021 erschien das Buch »Menschlichkeit JETZT«. Helge Burggrabe und Pierre Stutz haben in diesem Buch die Artikel der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen in 11 Schlüsselwörtern zusammengefasst, gerahmt von »Geburt« und »Tod«. Die Grundbotschaft der Ermutigungen von Pierre Stutz lautet: Ein glaubwürdiges Engagement für die Menschenrechte beginnt bei dir selbst. Menschenrechte sind nicht nur für die anderen zu erkämpfen, sie sind auch Inspiration dafür, wie du selbst mit dir umgehen und leben willst. Die Autoren spenden ihr gesamtes Honorar an das Projekt.
Lebe gut: Lieber Pierre Stutz, lieber Helge Burggrabe, Ihr neues Buch »Menschlichkeit JETZT!« erscheint zugunsten des HUMAN International Culture Project. Erzählen Sie uns etwas über dieses Projekt?
Helge Burggrabe: HUMAN ist für mich ein Herzensanliegen. Es geht um die Grundfrage, wie wir Menschen in aller Unterschiedlichkeit besser zusammenleben können. Als Grundlage für das internationale Kulturprojekt habe ich die 30 Artikel der UN-Menschenrechtserklärung in 11 Lebenswerte wie Freiheit, Gleichheit, Liebe, Schutz und Gemeinschaft verdichtet und anschließend als Orchestermusik vertont. Das internationale Kulturprojekt möchte mit dieser Musik und dazu entwickelten Tanzchoreografien die Grundthemen von Mensch-Sein »bewegen« – im doppelten Wortsinn. Erweitert durch das Buch »Menschlichkeit JETZT« und ein Curriculum für Schulen wird das Projekt besonders auch mit jungen Menschen durchgeführt werden.
Pierre Stutz: Mein inneres Feuer (feu sacré) brennt für HUMAN, weil ich in diesem kreativen Projekt meiner kämpferischen Gelassenheit begegne, die spielerisches Dasein und Tiefgang, Spiritualität und Menschenrechte nicht mehr trennt.
Wer zusammen tanzen kann, kann auch zusammenleben
Lebe gut: 1948 haben die Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. 2023 wird die Erklärung 75 Jahre alt. Worin sehen Sie beide die Aktualität der Menschenrechtserklärung für heute?
Pierre Stutz: In unserer verunsicherten und angstbesetzten Zeit braucht es eine visionäre Gestaltungskraft, die nicht in Grenzen, sondern in Möglichkeiten denkt. In der Menschenrechtserklärung finden sich hochaktuelle, anspruchsvolle ethische Postulate, die leider zu oft noch mit Füßen getreten werden. Sich mit anderen gemeinsam für die unantastbare Würde eines jeden Menschen ein- und auszusetzen, ist angesichts der populistisch-ausgrenzenden Tendenzen ein Gebot der Stunde. Der 2. Artikel der Menschenrechte »Jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler und sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt und sonstigem Stand«,hat sich zum Glück seit 1948 immer mehr in offenen, toleranten Gesellschaftsformen verwirklicht. Zugleich ist jeder Generation neu aufgetragen, diese verantwortungsvolle Toleranz zu entfalten.
Helge Burggrabe: Ich möchte noch hinzufügen, dass das HUMAN International Culture Project diese hochaktuellen Themen der Menschenrechte greifbar und erlebbar machen möchte, sodass nicht nur abstrakt über sie geredet wird. Die Umsetzung der HUMAN-Idee in großen Musik-/Tanz-Performances oder in Education-Projekten mit 60, 100 oder 150 Mitwirkenden sind wunderbare Übungsfelder, spielerisch und ganz konkret Grundwerte des Miteinanders zu leben, da ansonsten keine gemeinsame Aufführung gelingen wird. Royston Maldoom, der berühmte Choreograf und künstlerische Berater von HUMAN, bringt es auf den Punkt: »Wer zusammen tanzen kann, kann auch zusammenleben.«
Lebe gut: Sie beide wollen die Menschenrechte allen, gerade jungen Menschen nahebringen. Nicht durch politische Belehrung, sondern durch Selbst- und Gemeinschaftserfahrung in Kunst, Musik und Tanz. Eine Frage an den Autor Pierre Stutz: Wie verankern Sie in Ihrem neuen Buch die Idee der Menschenrechte in der Erfahrung von Menschen unserer Zeit?
Pierre Stutz: Unsere Lebensaufgabe besteht darin, uns immer wieder zu erinnern, nie Einzelne oder Einzelner zu sein, sondern Teil eines Ganzen. Die Menschenrechte sehe ich als Widerstandskraft, um dem weit verbreiteten Irrtum, eh nichts machen zu können, die Power des kreativen Miteinanders entgegenzusetzen. Ich ermutige in »Menschlichkeit JETZT!«, immer wieder den Tag hindurch einen Moment innezuhalten, die Augen zu schließen, um im tiefen Ein- und Ausatmen sich zu verbinden mit all den engagierten Friedensengeln, die eine Welt fördern, die anders sein kann, zärtlicher und gerechter. Mit diesem Alltagsritual überlasse ich der Ohnmacht nicht die Regie in meinem Leben, sondern erinnere mich dankbar auch an ganz viele junge Menschen, die eine farbenfrohere, tolerantere Welt stärken.
Lebe gut: Das Buch »Menschlichkeit JETZT!« ist im Februar 2021 erschienen. Das Orchesterstück »HUMAN Suite« wird im April 2021 als CD, Vinyl und zum Download veröffentlicht. Welche weiteren Aktionen planen Sie beide im Rahmen des Projektes?
Helge Burggrabe: Neben vielen kleineren Aktionen wird ein Höhepunkt die Konzertpremiere von HUMAN am 16. Mai mit dem Deutschen Kammerorchester Berlin im großen Saal der Berliner Philharmonie sein. Im Herbst folgen dann die Tanz-Premiere von HUMAN am Theater Bremen und weitere Tanz-Projekte mit Jugendlichen in Brüssel (Molenbeek) und in Bethlehem. Pierre Stutz und ich werden – sobald es Corona zulässt – konzertante Buchlesungen gestalten, auf die wir uns schon jetzt freuen. Herzlich einladen möchten wir zu einer Autorenlesung mit Klavierbegleitung, die am 18. Februar 2021 um 19:30 Uhr bei Youtube angeschaut werden kann und anschließend online bleibt. Aktuelle Informationen zu allen Veranstaltungen werden auf der Projekt-Webseite human-project.net veröffentlicht.
»Wer sich glaubwürdig für Menschenrechte einsetzen möchte, muss bei sich selbst beginnen«
Lebe gut: »Menschlichkeit JETZT!« richtet sich an Menschen unterschiedlichster Herkunft. Gerade deshalb ist es sowohl für Firmlinge und Konfirmanden, für politische Jugendgruppen und für die Jugendarbeit mit Migranten geeignet. Was ist Ihre persönliche Hoffnung, die Sie damit verbinden?
Pierre Stutz: In meinen Begegnungen mit jungen Menschen spüre ich dankbar eine neue Sensibilisierung für eine solidarische Zukunftsgestaltung. Um es mit den Worten des Schauspielers Jonas Dassler (*1996), der im Film »Das schweigende Klassenzimmer« eindrücklich spielt, zu sagen: »Menschen fangen an, ihr System zu hinterfragen, das ist bis heute entscheidend und vor allem, dass aus dem Hinterfragen etwas Konstruktives entsteht ... die Lust am politischen Engagement wächst bei jungen Menschen.« Wenn wir mit HUMAN diese Aufbruchsstimmung verstärken können, dann freue ich mich.
Lebe gut: »Menschlichkeit JETZT!« richtet sich auch an die Erwachsenen und ist ein Appell nach den Worten Mahatma Gandhis »Sei du selbst die Veränderung, die du dir für diese Welt wünscht.« Was lässt sich von jedem von uns gegen Resignation tun?
Pierre Stutz: Wie ein roter Faden zieht sich meine Grundüberzeugung durch »Menschlichkeit JETZT!«: Wer sich glaubwürdig für die Menschenrechte einsetzt, beginne bei sich selbst. Das sage ich als »gebranntes Kind«. Mit 38 Jahren ist in einem 2-jährigen Burnout alles zusammengebrochen, was ich mir kämpferisch, jedoch zu verbissen, aufgebaut hatte. Durch diese Krise ist ein Bewusstseinswandel entstanden auf meinem Lebensweg, der nicht mehr trennt zwischen Engagement und Erholung, zwischen gut für sich selbst zu sorgen und Mitgefühl zu entfalten. Wir können der Resignation klare Grenzen setzen, wenn wir miteinander eine gesunde Balance einüben, bei der der Humor auch nicht fehlen darf. Charlie Chaplin macht es uns vor: Sich krümmen vor Lachen und sich für Minderheiten engagieren ergänzen sich wunderbar.