»Musik ist ein Ort des Friedens«
Warum Musik ein Ausdruck des Friedens ist und was ihm selbst in dunklen Zeiten Hoffnung macht. Ein Gespräch mit Hans-Jürgen Hufeisen
Interview Gesellschaft Glaube Lebensweisheit HoffnungHans-Jürgen Hufeisen ist Komponist und Choreograf, vor allem aber Klangkünstler mit der Flöte. Er hat bereits zahlreiche CDs veröffentlicht. Seit den 1980er-Jahren ist der Einsatz für den Frieden auch Thema seiner Musik. Für ihn ist Musik eine Hoffnungskraft, der es gelingt, ohne Gewalt in die Seelen von Menschen einzudringen und sie von innen her zu bewegen. Wir haben mit ihm über seine CD »Verleih uns Frieden« gesprochen.
Lebe gut: Herr Hufeisen, Sie haben eine neue Musik-CD mit Klängen zum Frieden herausgegeben. Die Sehnsucht nach Frieden ist groß. Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat uns mitten in Europa wieder Krieg beschert. Wir erfahren, dass Frieden, ebenso wie Freiheit, niemals ein selbstverständliches Gut ist. Was hat Sie bei der Edition der Musikstücke bewegt?
Hans-Jürgen Hufeisen: Musik hat die Chance, die Herzen der Menschen direkt zu erreichen. Gerade in einer Zeit, in der Friede gar nicht selbstverständlich ist und Angst und Hoffnungslosigkeit sich breitmachen, kann Musik Mut und Kraft in uns wecken und stärken. Wenn ich flöte, spiele ich ja mit der Luft. Stieße mein Atem nicht gegen die Schneidekante der Flöte, so wäre sie nur ein Stück trockenes Holz. Also brauche ich, um mit der Flöte spielen zu können, Widerstand, auf den ich treffe. Indem ich Widerstand begegne oder auch Widerstand biete, schaffe ich Kraft. Und wenn ich nun die Friedensmelodien Menschen zuspiele, könnte es ja sein, dass sie als Hörende erfahren, was es bedeutet, Widerstand zu erfahren, standhaft zu sein, Mut zu haben, Tapferkeit zu erlangen, auf festem Boden zu stehen, sich mit Liebe zu erheben. Diese Erfahrung hat mich dazu bewegt, die Friedensmusik zu teilen.
Lebe gut: Friede ist für Sie als Musiker kein neues Thema. Sie haben einen »Friedensruf« ins Internet gestellt, in dem Sie auch Jörg Zink (1922–2016) zitieren. Jörg Zink war einer der entscheidenden Persönlichkeiten der Friedensbewegung: In diesem Jahr denken wir an seinen 100. Geburtstag. Sie waren mit ihm befreundet: Welche Anstöße haben Sie als Mensch und als Musiker von ihm erfahren?
Hans-Jürgen Hufeisen: 1981 traf ich erstmals auf dem Hamburger Kirchentag Jörg Zink. Zusammen standen wir auf der Bühne. Er sprach über die Weihnachtsbotschaft »Friede auf Erden«. In Zinks Auslegung lag eine tiefe Sehnsucht nach Frieden, »der nicht von Waffen, sondern nur von der Einsicht und dem Vertrauen der Menschen gesichert wird«. An jenem Morgen erklang mit meiner Flöte »Die Friedenstaube«. Seitdem trafen wir uns häufig, um gemeinsame Projekte zu schaffen. Jörg Zink war es auch, der mich 1989 zur selbständigen beruflichen Tätigkeit ermutigte – als Komponist und Musiker. Zusammen schufen wir beide etwa 80 Lieder. Ich verdanke Jörg Zink mit seinen Lieddichtungen sehr viel. Nie zuvor schuf ich Melodien zu geistlichen Liedern. Nie zuvor fanden meine Melodien eine Heimat in so wunderbaren Worten. Der einmalige Liederzyklus ist abgeschlossen. Diese Einmaligkeit berührt mich sehr oft. Und in ihrer Einmaligkeit liegt für mich ein großes Geheimnis, das es gilt zu bewahren. So entstand auch der Text zu einem Abendlied (aus dem Gedicht von Jörg Zink »Der Abend kommt«):
Lebe gut: Krieg beginnt nicht erst mit einer Militäraktion, und Friede ist nicht einfach der Zustand, wenn die Waffen endlich schweigen. Friede beginnt in den Seelen der Menschen. Glauben Sie, dass Musik an dieser Stelle etwas zum Frieden beitragen kann?
Hans-Jürgen Hufeisen: Ja. Vielleicht ist Musik das kostbarste Geschenk, dass der Mensch der Erde überreicht. Musik vermag die Kraft zu sein, die ohne Gewalt Eintritt in die Seele der Menschen findet – eine für mich spirituelle Wirkungsweise von Musik. Wie eine unsichtbare Sphäre umgibt uns Klang und Zeit und kann einen Raum des inneren Friedens schaffen.
Ich denke an die Worte des Dirigenten und Violinisten Yehudi Menuhin (1916 – 1999) vor einem seiner letzten politischen Konzerte 1996, in einer vom Krieg zerstörten Stadt (Sarajevo): »Erinnern wir uns, es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen dem Bösen und dem Guten, wodurch man sie stets wird unterscheiden können: Das Gute singt und hört zu. Das Böse lärmt und ist taub. Lasst uns jetzt zuhören.«
Lebe gut: Ihre neue Musik-CD trägt den Titel »Verleih uns Frieden«. Das spielt an auf ein altes christliches Gebet, das von Martin Luther ins Deutsche übertragen wurde: »Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unsern Zeiten«. Wenn wir an den Frieden denken: Hilft beten?
Hans-Jürgen Hufeisen: In vielen Konzerten spiele ich diese alte Melodie, Flöte solo. Ich schreite dabei behutsam durch den Raum. So spiele ich jedem Gast die Friedensbotschaft zu. Es ist ein Gebet. Es ist ein Bitten um Frieden. Es ist ein Ruf nach Segen, der sich in den friedvollen Tönen des alten Liedes ausbreitet. Dabei weiß ich: Schon vor mir haben viele diesen Friedensruf gesungen, gehört und gebetet. Ich tue es nicht als Erster. Indem ich es auch tue, bin ich mit allen und allem verbunden. Ein Mensch, der betet, ist tief mit dem Frieden verbunden.
Lebe gut: Sie haben einmal geschildert, dass für Sie im Holz der Flöten, die Sie spielen, die Musik der Bäume weiterlebt, aus denen die Flöten gefertigt werden. Friede ist also ein Thema, das über unsere rein menschlichen Konflikte hinausreicht?
Hans-Jürgen Hufeisen: Die Töne, die ich einer Flöte entlocke, sind eigentlich mehr als eine augenblickliche Erfindung. Das Stück Flötenholz war zuvor ein Baum. Dieser Baum hat vieles erlebt. Wenn mir das bewusst ist und ich mit diesem Bewusstsein nun neue Töne aus dem Holz herausspiele, dann ist das wie ein neues Erwachen, ein neues Aufstehen, oder ganz anders gesagt: Musik erwacht immer wieder neu und hilft, die Wunden in Perlen zu verwandeln.
Lebe gut: Wir alle hoffen, dass die einschneidendsten Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Corona-Pandemie hinter uns liegen. Planen Sie wieder Konzerte, auf denen Sie Ihre musikalische Friedensbotschaft unter die Menschen bringen? Was gibt Ihnen Kraft, in die Zukunft zu blicken?
Hans-Jürgen Hufeisen: Nach meiner Geburt fand mich ein Wirt unter einer Bettdecke liegen. Meine Mutter hatte mich nach der Geburt verlassen. Ich wurde vom Wirt gerettet und hinausgetragen. Diese Erfahrung bleibt: Es geht weiter, die Türen werden geöffnet. Beim »Hinaus ins Leben« sind wir nicht allein. Auch habe ich gelernt anzuklopfen. Das lässt mich getrost in die Zukunft blicken. Und so freue ich mich, dass nun wieder Konzerte stattfinden. Und diese Freude, verbunden mit der Friedensbotschaft, möchte ich vielen zuspielen. Dafür bin ich dankbar.