Die Kartoffel – geerdet, grundlegend und geschichtsträchtig

Hinter vielen uns bekannten Gemüsepflanzen verbergen sich faszinierende Geschichten. Andreas Barlage hat hier die Kartoffel genauer unter die Lupe genommen.

Reportage Natur

NAME:
Kartoffel, Erdapfel

BOTANISCHER NAME:
Solanum tuberosum

BOTANISCHE FAMILIE:
Nachtschattengewächse (Solanaceae)

BEHEIMATET IN:
Südamerika, Schwerpunkt: Teile von Venezuela, Chile, Bolivien und Venezuela

IN EUROPA EINGEFÜHRT:
wahrscheinlich etwa in den 1560er Jahren auf den Kanarischen Inseln, ab 1567 nach und nach auf dem europäischen Festland


Der Anfang in Europa war für die Kartoffel als Gemüsepflanze nicht besonders vielversprechend. Es geht die Anekdote, dass Sir Francis Drake – seines Zeichens Freibeuter und Armada-Bezwinger – von seinen Reisen in die »Neue Welt« einst seiner Gönnerin Kartoffeln mitbrachte und ihr zum Verkosten kredenzte. Die Lady war keine Geringere als die ikonenhafte Elizabeth I. von England. Man kann sich vorstellen, wie sie in prunkvoller Renaissance-Robe – den kostbaren Spitzenkragen durch eine Serviette abgedeckt – nach dem ersten Bissen den Mund verzog, die Pellkartoffel, um die es sich wohl gehandelt hat, zurückgehen ließ und eher Gefallen an einem Pfeifchen mit dem Tabak fand, das aus der nach einem Beinamen der Königin benannten Kolonie »Virginia« stammte. Vielleicht mochte Elizabeth tatsächlich Porridge lieber.

Pommes frites – für die berühmten britischen »fish & chips« – wurden erst kurz nach dem Tod der englischen Königin erfunden, allerdings in Belgien.

Hinsichtlich der Kartoffeln und ihrer Bedeutung als tragendes Ernährungsmittel irrte sich die ansonsten sehr kluge Elizabeth wie so viele andere damals. Nicht nur in England, sondern auch auf dem europäischen Festland musste man allerdings erst einmal üben, wie man Kartoffeln anbaut, und beherzigen, dass man auf keinen Fall die Früchte, sondern nur die Knollen essen darf. Der Spruch »Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht …« lässt sich schlüssig erweitern in »… und baut er auch nicht an.« Die Masse der Bevölkerung ernährte sich damals von Getreide als Hauptstärkequelle. Hier und da erkannte ein hellsichtiger Mensch, der etwas zu bestimmen hatte, den Wert der Kartoffel zur Sicherstellung der Versorgung und ließ ein Machtwort verkünden.

Friedrich II., »der Große« oder »der Alte Fritz« genannt, hatte etwa Kartoffeln per Dekret in Preußen eingeführt. Das Ganze wurde ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert weit über Preußens damalige Grenzen hinaus zum Selbstläufer und sämtliche regionale Küchen im deutschsprachigen Raum entwickelten besondere Rezepte, von denen Reibekuchen und Knödel sozusagen die Nord-Süd-Achse der Zubereitung markieren. Mittlerweile werden Deutsche sogar abfällig als »Kartoffel« bezeichnet.

Kartoffelanbau im 19. Jahrhundert = schicksalshafte Monokultur

Es gibt sicherlich erheblich schlimmere Schimpfwörter. Immerhin stehen Kartoffeln für die Bereitschaft, etwa Gutes von anderen Kulturen anzunehmen, es vielfältig zu variieren und so wieder zu verbreiten, dass es zu allem anderen bekömmlich ist.

Für einige Menschen war die hohe Produktivität der Kartoffel, als sie einmal in Europa eingeführt war, lebensrettend, doch das war eine trügerische Sicherheit. Am klarsten lässt sich das mit den tragischen Geschehnissen in Irland zwischen 1845 und 1849 erläutern: Kartoffeln waren dort bereits das wichtigste Grundnahrungsmittel. Viele arme Menschen hatten nur sehr wenig Land, um sich und ihre Familie zu ernähren, und waren auf die guten Erträge der Kartoffeln angewiesen. Das Ende dieser schicksalshaften Monokultur leitete ein Pilz ein: Phytophtora infestans. Diese Kraut- und Knollenfäule hatte von den USA auch den Weg nach Europa gefunden. Der Schadpilz vermehrte sich im feuchten, kühlen irischen Klima sehr schnell und fand fatalerweise Kartoffelsorten vor, die er rasch befallen konnte – denn auch damals gab es anfällige und widerstandsfähige Selektionen. Die Pflanzen und Knollen waren innerhalb weniger Wochen komplett verfault. Das hatte man vorher noch nie erlebt – und keinen Plan B in Form von Vorräten anderer Nahrungsmittel in petto. Die Missernten wiederholten sich über mehrere Jahre. Mehr als ein Zehntel der irischen Bevölkerung verhungerte; doppelt so viele Iren wanderten in dieser Zeit nach Amerika aus. Auch wenn drei Nachfahren dieser Auswanderer sogar US-Präsidenten wurden – John F. Kennedy, Ronald Reagan und Joe Biden –, ändert das nichts an dem Leid, an dem die Kartoffel jedoch keine Schuld trägt … und nicht einmal der vermaledeite Pilz. Der Mensch hat wieder einmal zu kurzfristig gedacht.


Kurzes Pflanzenporträt:

  • schnell wachsende krautige Pflanzen
  •  mehrjährig als Knollenpflanze mit Ruhezeiten
  • etwa halbmeter- bis meterhoch
  • gefiedertes, wechselständiges, gras- bis blaugrünes Laub; Einzelfieder gebuchtet
  • in Wickeln zusammenstehende Gruppen; stehende, nickende, weiße, rosa oder lila Blüten an den Triebspitzen
  • Blütezeit sortenbedingt etwa sechs Wochen lang zwischen Mai und September
  • bei mittleren und späten Sorten Bildung der Knollen nach der Blüte
  • immense Bedeutung als Gemüsepflanze

Standort:

  • vollsonnige Lage
  • humoser, eher lockerer, nährstoffhaltiger Boden

Pflegegrundsätze:

  • Pflanzknollen ab einer Bodentemperatur etwa über 7 °C in Furchen in Freilandbeete legen
  • frühe Sorten ab März als Knolle frostgeschützt vortreiben
  • vor allem grüne Pflanzenteile vor Frost schützen
  • Pflanzen mehrmals im Jahr für die Steigerung der Knollenbildung anhäufeln
  • Knollen werden geerntet, wenn die Blüten Früchte gebildet haben bzw. wenn das Laub abgestorben ist.
  • ein Teil der intakten Knollen wird für eine Neupflanzung in der nächsten Saison kühl, dunkel und frostfrei gelagert

Verwendung:

  • äußerst nahrhafte, stärkeliefernde, bedeutsame Gemüsepflanze im Freiland
  • als Gemüsepflanze in großen Kübeln ebenfalls kultivierbar

Andreas Barlage, Pflanzenporträt aus seinem Buch »Auf der Suche nach dem grünen Gold«

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