Warum wir endlich Verantwortung übernehmen müssen
Franz Alt im Interview über Umweltschutz, Energiewende und die Bewegung Fridays For Future. Eine Liebeserklärung an die Zukunft
Interview Natur Gesellschaft ReportageEine rasche Energiewende ist überlebensnotwendig
Lebe gut: Im 1. Buch Mose steht: »Gott, der Herr, brachte also den Menschen in den Garten Eden. Er übertrug ihm die Aufgabe, den Garten zu pflegen und zu schützen«. Von Zerstörung war hingegen nicht die Rede… Herr Dr. Alt, weshalb pflegen und schützen wir Menschen die Erde nicht, sondern zerstören sie?
Franz Alt: Wir sagen zwar, dass wir unsere Kinder lieben, aber das stimmt einfach nicht. Wie können wir unsere Kinder lieben und zugleich ihre Zukunft verbrennen? Wir sind gegenwartsversessen und zukunftsvergessen. Solange wir den Planeten aufheizen mit Benzin, Kohle, Gas und Öl sind alle Sprüche wie »Wir lieben unsere Kinder« nichts als heuchlerische Lippenbekenntnisse. An einem Tag verbrennen wir heute so viel Kohle, Gas und Öl wie die Natur in einer Million Jahre angesammelt hat. Also: 1 Million Mal benehmen wir uns gegen die Interessen unserer Kinder und Enkel. Sie haben allen Grund, uns zu verfluchen. Jetzt endlich aber wehren sich die Schüler und Jugendlichen gegen den heutigen Verbrennungswahnsinn meiner Generation. Wir sind Pyromanen. Noch haben wir die Möglichkeit, es anders und verantwortungsvoller zu machen durch eine rasche und 100-prozentige Energie- und Verkehrswende. Dafür sind alle technischen Voraussetzungen bereits vorhanden. Diese überlebensnotwendige Wende müssen wir bis 2050 schaffen, so wie es die neue und junge Protest-Generation »Fridays For Future« jetzt fordert. Zum Glück haben sich über 4.000 Klimawissenschaftler und erste »Parents for Future«-Bewegungen, ja sogar »Grandparents For Future«-Bewegungen, hinter die jungen Demonstranten gestellt. Wir brauchen aber eine große »Citizens For Future«-Bewegung, an der sich alle beteiligen. Denn wir alle sind Teil des Problems. Wir müssen Teil der Lösung werden und unsere Verantwortung für die Zukunft endlich übernehmen. Jede und jeder ist gefragt, wenn es um die Verkehrs- und Energiewende geht. Die rasche 100-prozentige Energiewende ist die Überlebensfrage der Menschheit.
Die Situation auf der Erde wird immer dramatischer
Lebe gut: Menschen brauchen ein Dach über dem Kopf, im Winter eine Heizung, Nahrung, Kleidung, frisches Wasser – und Menschen vermehren sich. Laut einer UN-Prognose leben alleine in Afrika 2050 doppelt so viele Menschen wie heute. (Über-)strapaziert der Mensch also nicht zwangsläufig seine Umwelt – und können wir diesem »Teufelskreis der Umweltzerstörung«, wie Sie es nennen, noch entkommen?
Franz Alt: Bis etwa 1800 hatten wir eine »leere« Erde mit unter einer Milliarde Menschen. Heute sind wir eine eher »volle« Erde mit über 7,5 Milliarden und bald über zehn Milliarden. Das ist ein fundamentaler Unterschied. Und in den armen Ländern wollen alle Menschen so leben wie wir heute. Die Situation wird also immer dramatischer. Deshalb müssen wir die Gnadenfrist, die wir noch haben, also die nächsten 15 bis 20 Jahre, nutzen, wenn wir als Menschheit überleben wollen. Klingt dramatisch, aber so ist es. Das ist keine Glaubensfrage, wie uns Herr Trump oder die deutsche AfD weismachen wollen, das ist schlicht Physik und Stand der Wissenschaft. Im Bereich des erneuerbaren Stroms hat Deutschland ja bereits bewiesen, dass der schnelle und komplette Umstieg auf Solarstrom möglich ist. Wir hatten im Jahr 2000 etwa fünf Prozent Ökostrom, in den ersten Monaten des Jahres 2019 sind wir bei 46 % Ökostrom. Es geht also, wenn wir wirklich, wirklich wollen. Doch bei der Wärme und bei der Mobilität sind wir leider erst am Anfang. Es wird eine wirkliche Energiewende nur geben, wenn wir zugleich eine Wärmewende und eine ökologische Verkehrswende sowie eine Bauwende schaffen. Regionen wie Ostfriesland erzeugen schon heute schon mehr Solar- und Windstrom als sie selbst verbrauchen.
Die Sonne schickt uns keine Rechnung
Lebe gut: Immer mehr zeigt sich, dass Umweltschutz komplizierter ist als gedacht: Man kann aufs Fliegen verzichten, dabei produziert das Internet bereits mehr CO2 als der gesamte Flugverkehr. Wir können auf Mehrweg-Systeme setzen, aber über 80 Prozent des Plastiks in den Weltmeeren stammen aus asiatischen Flüssen. Und scheinbar ökologische E-Autos benötigen jede Menge seltener Bodenschätze. Sehen Sie in solchen Widersprüchen die Gefahr, dass wir in unseren Anstrengungen für mehr Nachhaltigkeit nachlassen oder gar fatalistisch werden könnten?
Franz Alt: Fatalismus hilft nicht. Und zu den Rohstoffen bei neuen Technologien, die Sie angesprochen haben, gibt es längst Alternativen. Es gibt immer Alternativen. Die Natur war nicht blöd und der liebe Gott nicht doof. Und die Wissenschaft forscht weiter. Das Schöne an erneuerbaren Energien: Die Sonne schickt etwa 15.000 Mal so viel Energie auf die Erde wie heute alle Menschen verbrauchen. Das macht sie für alle Zeit, umweltfreundlich und kostenlos. Die Sonne schickt uns keine Rechnung. Das ist der große ökonomische Vorteil bei der künftigen ökologischen Energieversorgung. Es gibt kein Energieproblem. Wir nutzen nur die falschen Rohstoffe.
In 70 Ländern ist heute Solar- und Windstrom bereits die preiswerteste Energiequelle. Es wird auch für die Skeptiker immer deutlicher: Solarstrom ist Sozialstrom. Wir können schon heute in Afrika oder in Chile Solarstrom für zwei Cent pro Kilowattstunde produzieren, unschlagbar preiswert. Mit dem größten Solarkraftwerke der Welt will Saudi-Arabien ab 2025 Solarstrom für einen Cent je Kilowattstunde herstellen.
Alle Probleme, die Menschen geschaffen haben, sind auch von Menschen lösbar. Vor 25 Jahren konnten wir eine Solaranlage nicht ein einziges Mal recyceln, heute sind wir bei fünf Mal, und bald werden nur noch Rohstoffe eingesetzt, die wir immer wieder recyceln können. Ähnliche Erfolge haben wir den Wissenschaftlern bei Windmühlen zu verdanken. Wenn wir beim Bauen mehr als bisher den wunderbaren Rohstoff Holz nutzen, haben wir nachhaltigere Baustoffe als heute. Holz wächst immer und altert, Eisen rostet und Beton verfällt. In vielen armen Ländern der Welt habe ich erlebt, dass die Menschen über Solarstrom erstmals Elektrizität haben, damit Jobs schaffen und nicht mehr an Flucht denken.