Wie Sie mehr Kraft durch tägliches Draußensein schöpfen können
Die Natur ist ein Spiegel unserer Seele. Deshalb ist es heilsam, sich mit der Natur zu verbinden, um die Balance im Leben wiederzufinden. Dies gelingt nur, wenn man rausgeht. Jan Frerichs spricht im Interview über seine »Wege zur eigenen Spiritualität«.
Interview Achtsamkeit Auszeit NaturWie wir wieder zu mehr Lebendigkeit finden
Lebe gut: Vermutlich wollen Sie uns mit Ihrem Buch »barfuß und wild« herauslocken aus den vier Wänden, raus ans Lagerfeuer?
Jan Frerichs: Ja, das ist der Plan. Ich glaube, dass wir da draußen etwas finden, das wir vermissen. Es gibt heute viele Bücher, in denen Eltern mit Recht empfohlen wird, ihre Kinder wieder mehr in die Natur und an die frische Luft zu bringen. Ich kenne niemanden, der das nicht unterstützt. Aber wer kann erwarten, dass die Kinder draußen spielen, wenn die meisten Erwachsenen selbst überwiegend drinnen hocken.
Lebe gut: Aber warum barfuß?
Jan Frerichs: Weil’s prickelt unter den Fußsohlen! Aber es geht mir nicht darum, das Barfußlaufen zu trainieren. Sie dürfen ruhig in Schuhen überall hingehen. Das tue ich auch meistens. Es geht mir um die inneren Schuhe und die Schutzhäute, die wir uns da angeeignet haben, um unsere Seele zu schützen. Nur merken wir irgendwann, dass die uns zwar schützen, aber eben vielleicht auch inzwischen genau an dem Leben hindern, nach dem wir uns eigentlich sehnen. Ein bisschen wie in einem goldenen Käfig: Es geht uns gut und doch fehlt was. Die Erfahrung von Freiheit und Lebendigkeit etwa.
Natur und Christentum – Für Jan Frerichs kein Widerspruch
Lebe gut: Sie begleiten in ihrer Lebensschule ja auch Menschen, was suchen die?
Jan Frerichs: Es sind Menschen, die an Grenzen im Leben gekommen sind, die vielleicht das Gefühl haben, von fremden oder eigenen Bewertungen und Erwartungen bestimmt zu sein. Menschen, die sich fragen: Was will ich eigentlich? Bei diesen Fragen hilft uns die Natur. Sie ist eine Lehrerin, weil sie selbst immer im Wandel ist und uns als Spiegel dienen kann, in dem wir uns besser erkennen. Jesus wusste das und hat sich oft in die Natur zurückgezogen, um Kraft zu sammeln für den nächsten Schritt.
Lebe gut: Aber Jesus und überhaupt das Christentum ist doch nun alles andere als »wild«. Wie passt das zusammen?
Jan Frerichs: Das habe ich auch lange geglaubt. Bis ich eines Tages auf einen kleinen Vers im Markusevangelium stieß, der erzählt, wie Jesus in die Wüste hinausgeht, um dort einige Zeit in der Einsamkeit zu fasten. Da heißt es: »Er lebte bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm.« Das war für mich der Anfang einer Entdeckungsreise, die mich zu einem völlig neuen Blick auf die ganze Heilige Schrift und unsere Tradition geführt hat.
Warum es gut ist, manchmal unangepasst und wild zu sein
Lebe gut: Ist Wildnis oder Wildheit denn etwas Erstrebenswertes?
Jan Frerichs: Kommt drauf an, wie man draufschaut. Wildnis ist zunächst biologisch betrachtet schlicht das, was aus sich heraus lebt. Kreativ, kooperativ, immer in Anpassung und im Wandel begriffen. Es macht wenig Sinn, das gut oder schlecht zu finden. Es ist so. Und ganz natürlich hat diese wilde Wirklichkeit eine schmerzhafte Schattenseite: Der Tod ist der radikalste Ausdruck dieses ständigen Wandels, in dem auch wir uns von Natur aus befinden. Es gibt kein neues Leben, ohne dass Altes stirbt. Es kommt darauf an, wie wir mit dieser Wirklichkeit umgehen: Kämpfen wir gegen sie oder tanzen wir mit ihr.
Lebe gut: Aber der Tod macht doch Angst. Geht es im Christentum nicht darum, vom Tod erlöst zu werden?
Jan Frerichs: Nein, das ist ein Missverständnis. Jesus erlöst uns von der Angst. Und ich glaube, dass wir in Wahrheit nicht Angst vor dem Tod haben, sondern Angst vor dem Leben. Vor der Frage, was wir mit der Zeit und den Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten, die das Leben mit sich bringt, anfangen. Religion ist eigentlich dafür da, eine Antwort zu finden auf diese Lebensfrage. Es geht nicht darum, möglichst alles »richtig« zu machen, damit wir dereinst zur Belohnung ewig leben oder so etwas. Christen glauben, dass Gott Mensch geworden ist, und das ist ja ein Wink mit dem Zaunpfahl: Leute, es gibt ein Leben vor dem Tod! Es geht darum, das Tanzen zu lernen, sodass wir aus uns heraus, aus innerem Wissen heraus, leben und entscheiden können. Damit wir mit Begeisterung und Klarheit unser ganzes Potenzial entfalten. Das gilt für Männer und Frauen gleichermaßen. Und das Buch entstaubt im Grunde nur die uralten Wegweiser und will dabei helfen, dass wir nicht bloß die Asche vergangener Feuer bewahren oder gar darin ersticken, sondern die Glut wieder entfachen.